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In seiner Rede vor der Konferenz: „Dialog zwischen dem Osten und dem Westen“ in Rom sagte der Großimam:
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In seiner Rede vor der Konferenz: „Dialog zwischen dem Osten und dem Westen“ in Rom sagte der Großimam:

In seiner Rede vor der Konferenz: „Dialog zwischen dem Osten und dem Westen“ in Rom sagte der Großimam:

  • In unserer ausführlichen Sitzung habe ich mit dem Papst viele Themen besprochen, die das Gewissen der Menschheit beunruhigen und ihr Leid und Elend verursachen.
  • Der Azhar und der Weisenrat der Muslime sind bereit, all ihre Erfahrung im Dienste der Verbreitung vom Weltfrieden und Koexistenz zu stellen.
  • Die Religionsbücher und die heiligen Texte der Religionen enthalten nichts, das zum Blutvergießen aufruft.
  • Ohne die Erbschaft der Muslime hätte die westliche Kultur ihre Blüte nicht erreichen können.
  • Muslime sind Opfer des Terrorismus, und sie bezahlen den hundertfachen Preis mehr als andere Menschen, und zwar aus ihrem eigenen Blut.
  • Ich bin der Meinung, dass unser Dialog sich auf das Thema Religion als Rettungsring konzentrieren soll und dass dieses Thema den Vorrang vor allen anderen Themen hat.
  • Die menschliche Zivilisation des 21. Jahrhunderts ist ein enttäuschender zivilisatorischer Rückschritt im Vergleich zur Zivilisation des 20. Jahrhunderts.
  • Die göttlichen Religionen können unmöglich ein Mittel zum Elend des Menschen sein, da sie nur zur Rechtleitung der Menschen herabgesandt wurden.
  • Die Religionskriege sind nur auf den politischen Missbrauch der Religion und die Instrumentalisierung der Religionsleute für eigene Begierden und Zwecke zurückzuführen.
  • Einem anderen Menschen eine bestimmte Religion aufzuzwingen ist eine Art Unsinn und Absurdität.

 

Hier der Wortlaut der Rede des Großimam Prof. Dr. Ahmed At-Tayyeb, Al-Azhar Großscheich und der Vorsitzende des Weisenrats der Muslime an der Ost-West-Konferenz in Rom.

 

Im Namen Allahs des Allerbarmers, des Barmherzigen

Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne,

sehr geehrte Anwesende,

ich begrüße Sie mit dem Gruß des Islam, genauer gesagt mit dem Gruß aller göttlichen Religionen, nämlich: Assalamu Alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuh.

Ich bin gerade von einer ausführlichen Sitzung mit meinem lieben Bruder Papst Franziskus gekommen. Bei dieser ausführlichen Sitzung haben wir zusammen viele Themen besprochen, die das Gewissen der Menschheit beunruhigen und ihr Leid und Elend verursachen. Wir haben ebenfalls die zukünftige gemeinsamen Zusammenarbeit zur Linderung des Leides der Armen, Elenden und Schwachen auf der Welt. In der Tat setze ich große Hoffnungen auf diesen Mann, der heutzutage ein Vorbild und ein seltenes Exemplar darstellt. Er hat ein großes Herz, das mit Liebe, Güte und aufrichtigen Wünschen erfüllt ist, dass alle Menschen die friedliche Koexistenz und den Austausch von sich gegenseitig ergänzenden Kulturen genießen.

Mit meiner Rede vor Ihnen auf dieser Konferenz verfolge ich ein klares Ziel, und zwar die Notwendigkeit des Dialogs zwischen dem Osten und dem Westen sowie die Pflicht zu betonen, diesen Dialog zwischen den Vernünftigen und Weisen auf beiden Seiten fortzusetzen, um unsere moderne Zivilisation vor der Gefahr zu schützen, in das dunkle Zeitalter der Unwissenheit zurückzufallen, und zwar im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinne des Wortes.

Die gegenseitige Gewalt zwischen dem Osten und dem Westen ist heutzutage die elende Eigenschaft geworden, die unsere moderne Zivilisation von den anderen menschlichen Zivilisationen im Laufe der Geschichte unterscheidet. Hoffentlich gehe ich nicht so weit mit der Behauptung, dass die menschliche Zivilisation des 21. Jahrhunderts einen enttäuschenden zivilisatorischen Rückschritt im Vergleich zur Zivilisation des 20. Jahrhunderts darstellt. Wenn auch die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts zwei Weltkriege erlebte, denen mehr als siebzig Millionen zum Opfer fielen, aber die Verursacher und Befürworter dieser Kriege haben doch bald erkannt, wie hoch der Preis war und wie banal die Motive dieser Kriege waren und dass sie nicht einmal einen einzigen Bluttropfen des bei diesen Kriegen  vergossenen Bluts wert waren.

Obwohl die Länder der Welt sich in diesem Jahrhundert in zwei ideologisch, philosophisch und wirtschaftlich äußerst unterschiedlichen Lager teilten, war dieser kalte Krieg, der das Gleichgewicht zwischen den beiden rivalisierenden Lagern hielt, ohne Blut und ohne Leichen. Vielleicht hatten die Gemeinschaften und Völker im Schatten dieses mal gespannten und mal entspannten kalten Krieges ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität, ein Gefühl von einem neuen Zeitalter ohne Krieg, ohne Mord und Zerstörung, auch wenn das alles von etwas Angst vor dem Unbekannten überschattet war, die manchmal stark war aber meistens nachließ.

Dann brach das kommunistische Lager gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts zusammen, gefolgt von den politischen Systemen, die die kommunistische Ideologie übernommen haben, eines nach dem anderen. Da haben wir gedacht, dass die Gründe für den Konflikt zwischen Ost und West bald verschwinden werden, weil der Feind und Herausforderer des westlichen Lagers, der mit ihm um Verbreitung und Übermacht stritt und ihm mit Vernichtung und nuklearer Abschreckung drohte, endgültig untergegangen sind.

Es war zu erwarten, und es war aus menschlicher und moralischer Perspektive auch zu hoffen, dass eine neue Ära beginnt, die von Zusammenarbeit und Integration, vom gegenseitigen Nutzen- und Interessenaustausch zwischen den reichen und den armen Ländern, von Begegnung der Kulturen und Zivilisationen und zwischen Ost und West gekennzeichnet ist, ein neues Zeitalter, in dem der Westen und die USA ihre kulturelle Verantwortung wahrnehmen und Tribut für den kulturellen und technischen Fortschritt, und sogar für den ethnischen oder rassistischen Fortschritt leisten, an den der Westen während der Kolonialzeit geglaubt und zum Vorwand für seine koloniale Tätigkeiten in den östlichen Ländern genommen hat, und das trotz der Widerlegung und Verwerfung dieser rassistischen Theorie durch die westlichen Ethnologen selbst. Die Überzeugung der europäischen Länder von dieser Behauptung verpflichtet sie dazu, die weniger entwickelten Länder zu führen und ihnen etwas von dem eignen Wohlstand, Reichtum, technischen, wissenschaftlichen, geistigen und menschlichen Fortschritt zukommen zu lassen. Denn das sind alles großartige Gaben, die Allah diesen Ländern gab und die es erforderlich machen, den entbehrten Völkern zu helfen, besonders weil diese Völker die Renaissance und den Fortschritt des Westens in allen modernen kulturellen Bereichen begünstigt haben.

Diese uralte europäische Hauptstadt, in der wir uns heute treffen, bezeugt, dass die Muslime einst Vorreiter bei Kultur, Wissenschaft und Kunst, und dass sie Botschafter der Aufklärung, der Ausbildung und Bildung waren, und zwar in dem Maße, dass die westliche Kultur ohne die Erbschaft der Muslime ihre heutige Blüte nicht hätte erreichen können.

Ja, es war zu erwarten, dass sich die Welt nach dem Ende des kalten Krieges mehr in Richtung Frieden, gegenseitige Zusammenarbeit und Koexistenz bewegt, aber bald war alles wieder wie beim alten, weil die von Geld, Macht und Waffen getriebene Weltpolitik den kalten Krieg durch einen neuen Krieg und auch ein neues Lager ersetzen wollte, nämlich das Lager der muslimischen und das der nichtmuslimischen Länder. Und wäre es doch ein kalter Krieg wie der vergangene, dann hätte man ihn vielleicht aushalten können, aber es ist eine neue Generation der Kriege, wo das Opfer sich selbst und mit seinen eigenen Mitteln und auf seinem eigenen Boden umbringt, und zwar im Auftrag anderer weit entfernten Mächte von Kriegstreibern und Waffenhändlern. Im Rahmen dieser Umstände war es unerlässlich, ein verzerrtes Bild vom Islam zu verbreiten, nämlich als eine Religion, die den Nährboden für Terrorismus bietet und seinen Aufruf zum Mord, Blutvergießen und Kopfabschlagen im Namen Allahs verbreitet.

In dieser kurzen Rede geht es uns nicht darum, das Phänomen des Terrorismus und seine Ursachen zu behandeln oder herauszufinden, wer der Hauptverantwortliche dafür ist und wer den Terrorismus finanziert und woher er solche abschreckende Macht und die Fähigkeit bekommt, eine ganze Armee, Kriegsgerät und Waffen von ganz Osten nach ganz Westen durch den asiatischen und afrikanischen Kontinent zu verlegen, ohne von Grenzkontrollen zwischen den Ländern aufgehalten zu werden.

Unser Verantwortungsgefühl für unsere Worte verpflichtet uns jedoch dazu, an einige Tatsachen zu erinnern, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden müssen, nämlich:

Die Muslime sind die Opfer des Terrorismus, und sie bezahlen den hundertfachen Preis mehr als andere Menschen, und zwar aus ihrem eigenen Blut. Sie sind die Zielscheibe seines Feuers und seiner Waffen. Ihre Wirtschaft anzugreifen, ihre Energien aufzubrauchen und sie im Zustand der Leblosigkeit zu halten; das sind alles raffiniert einkalkulierte Ziele.

Sehr geehrte Weise und Gelehrte, verzeihen Sie mir bitte die ausführliche Darlegung von Tatsachen, die Ihnen sowie vielen anderen im Osten und im Westen schon bekannt sind. ich wollte dadurch lediglich betonen, dass unser heutiges Treffen, sowie andere ähnliche Treffen, kein reiner Luxus sind, sondern eine Notwendigkeit, um eine Lösung für diese Krise zu suchen, die überall krebsartig wuchert und seit langer Zeit einer Lösung bedarf, aber  erfolglos sucht.

In diesem Zusammenhang freut es mich sehr, ihnen zu versichern, dass die ehrwürdige Azhar zusammen mit dem Weisenrat der Muslime vollkommen bereit ist, mit einer ganzen Erfahrung uneingeschränkt bei der Verbreitung des Weltfriedens und der Verankerung von Werten der friedlichen Koexistenz und des Dialogs zwischen den Kulturen, Konfessionen und Religionen zusammenzuarbeiten.

Ich bin der Überzeugung, dass der wissenschaftliche Fortschritt, das Symbol der modernen westlichen Zivilisation, in unserem modernen Zeitalter in einer direkt proportionalen Beziehung zum Krieg steht, nachdem diese Beziehung im Zeitalter der Aufklärung umgekehrt proportional war. Philosophen der Aufklärung haben in uns nämlich die Hoffnungen erweckt, dass der kulturelle Fortschritt und dessen Verbreitung fähig sind, Kriege ein für alle Mal zu beenden, oder in anderen Worten ausgedrückt: Der Weltfrieden wird mit dem Zivilisationsprozess Schritt halten. Der französische Philosoph und der bekannteste Vertreter der Erziehungsreformen Condorcet sprach im Jahr 1787 seinen berühmten Spruch: „Je mehr sich die Zivilisation auf der Erde verbreitet, desto weniger Kriege, Sklaverei und Elend wir erleben werden.“

Kaum war ein Jahrhundert seit diesem schönen Traum vergangen, und da sind die Menschen vor einer bitteren Wirklichkeit aufstanden, in der die Beziehung zwischen Wissenschaft und Krieg sich in eine direkt proportionale Beziehung verwandelt hat; je mehr Fortschritte die Wissenschaft macht, desto verheerender und bösartiger die Kriege werden. Diese Tatsache findet ihren Niederschlag schon seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in der ägyptischen Kultur, ob in den Schriften der Azhar-Gelehrten oder der vernünftigen Schriftsteller, Literaten und Intellektuellen. Das bemerken wir auch in vielen Schriften westlicher Intellektuellen, wie zum Beispiel in diesen Worten des erst in diesem Jahr gestorbenen bulgarisch-französischen Philosophen Todorov Tzvetan: „Kulturen mit all ihren technischen und künstlichen Komponenten verbreiten sich immer schneller auf der ganzen Welt und werden von großen Teilen der Weltbevölkerung angenommen, aber trotzdem hören Krieg und Elend nicht auf, und sogar die Sklaverei hat nur in den Gesetzen zu existieren aufgehört, aber sie wird immer noch praktiziert.“

Diese Worte des Philosophen, die unsere heutige Wirklichkeit widerspiegeln, bewegen mich zu der Annahme, dass man keine Hoffnung in den kulturellen Fortschritt setzen darf, das wilde Biest im Gewissen des modernen Menschen zu zähmen, besonders nachdem dieser kulturelle Fortschritt die ganze Erbschaft der Werte, Moral und erzieherischen Werte des Menschen sowie den religiösen Instinkt zerstörte, der gleichzeitig den Instinkt der Moral und Tugend ausmacht, der den Menschen von Begehung der Verbrechen gegen sich selbst und gegen die anderen Mitmenschen abhält. Und besonders nachdem dieser Fortschritt der Religion und deren Bestimmungen den Rücken kehrte und sie durch absolute, uneingeschränkte Freiheiten ersetzte, so dass wir heutzutage Verhaltensweisen des modernen Menschen erleben, die sich bis vor wenigen Jahrzehnten kein Mensch mit einer gesunden natürlichen Veranlagung hätte vorstellen können.

Ich bin der Meinung, dass unser Dialog sich auf das Thema Religion als Rettungsring konzentrieren soll und dass diesem Thema den Vorrang vor allen anderen Themen gewährt werden soll, die erwartungsgemäß behandelt werden können, wie etwa Säkularismus, Globalisierung und andere Themen.

Ich weiß schon im Voraus, dass die Stellung und das Gewicht der Religion im Osten und im Westen nicht identisch, wenn nicht sogar sehr unterschiedlich sind, und dass die materiellen und atheistischen Philosophien diese Darlegung vielleicht verspotten und als Rückschritt in Zeitalter des Unwissens und der Dunkelheit betrachten. Aber die Völker, die unter der Politik der Tyrannei, Vorherrschaft und Zwangsaussiedlung, unter Blutvergießen von Millionen Schwachen, Armen, Witwen und Waisen leiden, all diese haben das Recht darauf, lauthals „nein“ zu sagen. Ich sage es auch mit ihnen hier im Herzen Europa: Nein und tausendmal nein! Wir haben das Recht, einen Kurswechsel zu verlangen, auf unser Recht auf den lang ersehnten Frieden zu pochen, während Hunde, Katzen und andere Tiere dieses Recht hier und dort genießen.

Man könnt sagen, dass die Rückbesinnung auf die Religion und deren Bestimmungen die Sache noch schlimmer machen würde, weil die Unterschiede zwischen den Religionen in Bezug auf Glaubenslehren und schariatischen Bestimmungen zu den wichtigsten Gründen für die Kriege unter den Anhängern verschiedener Religionen sind. Man könnte noch einwenden: Können wir die Unmengen von Blut ignorieren, die im Zuge der Glaubenskriege vergossen worden sind? Können wir die Tatsache außer Acht lassen, dass Europa ihre inneren kriegerischen Auseinandersetzungen erst dann bewältigen konnte, nachdem es die Religion vom Alltagsleben der Menschen im Zuge des genannten Säkularismus ausgeschlossen hat?

Anfangs scheinen diese Einwendungen, von denen viele Jugendliche im Westen und auch im Osten überzeug sind, sehr begründet, aber sie könnten nicht so erscheinen, wenn man sie im Rahmen einer richtigen, tiefen Behandlung der Religion widerlegt, und zwar mit dem Ziel, die zentrale und unerlässliche Bedeutung der Religion für ein glückliches Leben im Dies- und im Jenseits.

Unsere Antwort auf diese Einwendungen lautet: Die göttlichen, von Allah dem Erhabenen an Seine Propheten und Gesandten herabgesandte Religionen können unmöglich ein Grund für das Elend des Menschen sein. Wie kann man das überhaupt behaupten, wenn diese Religionen nur zur Rechtleitung der Menschen zum Guten, zum Recht und zum gerechten Handeln herabgesandt worden sind? Die Kriege, die im Namen der Religionen geführt wurden, hatten früher und haben immer noch einen einzigen Grund, nämlich den politischen Missbrauch und Instrumentalisierung der Religion sowie die Ausnutzung der Religionsleute zur Verfolgung eigener Ziele und Zwecke.

Alle Religion sind sich darüber einig, dass das menschliche Blut unantastbar und  das Menschenleben zu schützen ist. Vielleicht unterscheiden sich die Religionen ja in Bezug auf einige Bestimmungen ja nach der Zeit und dem Ort, aber sie unterscheiden sich gar nicht in dem Punkt, dass es strikt verboten ist, einen Menschen zu töten, nachdem sie die Quelle dieses Verbots auf zwei Instanzen zurückführten: Die Instanz des heiligen Textes: „Töte nicht“, und die Instanz des menschlichen Gewissens, dem eine zentrale Rolle bei der Unterscheidung zwischen Gut und Böse zukommt. Dasselbe gilt ebenfalls für das unter allen Menschen bekannte allgemeine Pflichtprinzip. Die Religionen machten die Weisen und Heiligen zu Experten und Wächtern dieser göttlichen Institutionen in der natürlichen Veranlagung des Menschen und deren Fähigkeit, den Menschen zu jeder Zeit und überall zu führen.

In diesem Zusammenhang ist der Quran mit dem Evangelium und der Thora eng verbunden. Der Prophet des Islam ruft genau zu dem auf, wozu Jesus, Moses und die anderen Propheten und Gesandten vor ihnen (möge Allah sie alle in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!) aufgerufen haben. Wer einen Moralkodex lesen will, der die gleiche Bedeutung hat und dennoch in zwei verschiedenen Zeitepochen und in zwei verschiedenen Sprachen geschrieben worden ist, der soll diesen Kodex in der Bibel und im ehrwürdigen Quran lesen. Der einzige Unterschied, den der Leser vielleicht bemerken wird, ist, dass dieser Kodex in der Bibel an einer Stelle vorkommt, während er im Quran geteilt auf mehrere Stellen ist. Das deutlichste Beispiel dafür bieten die zehn Gebote in der Thora im Vergleich zu diesem einzigartigen moralischen Schatz und dem menschlich-erhabenen Prachtstück, der sogenannten Bergpredigt oder die Verabredung auf dem Berg Sinai im Evangelium und mit den diesbezüglichen zerstreuten Versen im Quran, sowohl in seinem mekkanischen als auch in seinem medinensischen Teil. Ich habe mich eingehend mit diesem Thema beschäftigt und bin dann zu der felsenfesten Überzeugung gekommen, dass alle drei heiligen Bücher unbedingt die gleiche Quelle haben und dass sie alle bei der Rechtleitung des Menschen und der Bewahrung seines Lebens eine Art brüderliche Beziehung verbindet.

Die Texte und die heiligen Schriften der Religionen enthalten also nichts, das zum Blutvergießen aufruft, noch haben sich die Gesandten und Propheten auf einer Art und Weise verhalten, die nicht einmal im entferntesten zu verstehen gibt, dass die Tötung eines Menschen erlaubt ist. Ich kann sogar behaupten, dass das Blut der Tiere in den göttlichen Religionen nicht erlaubt ist, und dass auch das Leben der Tiere von religiösen Bestimmungen und Gesetzen umfasst ist, die voller Barmherzigkeit und Milde gegenüber den Tieren sind.

Die Zeit würde nicht ausreichen, meine Damen und Herren, um den großen Unterschied zwischen den von Religionen motivierten Kriegen und denen zu erklären, die vom Handel mit den Religionen motiviert sind. wäre die Religion für diejenigen verantwortlich, die sie missbrauchen, dann wäre auch unsere Zivilisation für zwei Weltkriege verantwortlich gewesen, denen wie gesagt 75 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, sowie auch für alle Blutbäder, die bis heute noch in Syrien, im Irak, im Jemen, in Libyen, in Somalia, in Afghanistan und in anderen Ländern angerichtet werden, denn dieses Blutvergießen wird nicht von den Religionen, sondern vom Unrecht des Menschen gegenüber seinem Mitmenschen, vom verstorbenen menschlichen Gewissen und seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid, der Trauer und den Schmerzen der anderen verursacht.
Es stimmt auch übrigens nicht, dass Europe die Kriege überwältigt hat, als sie die Religion von ihrer Führungsstelle in der Gesellschaft entfernt hat; vielmehr hat es die Kriege überwältigt, wenn es das entschieden hat, nachdem es das Leid und die Schmerzen der Kriege im vergangenen Jahrhundert gekostet hat.

Der Vorwurf gegen die Religionen, dass sie Kriege anzetteln könnten, weil die Anhänger jeder Religion sich im Besitz der absoluten Wahrheit glauben und dass andere falsch sind und dass sie als Besitzer der absoluten Wahrheit die anderen zu dieser Wahrheit entweder durch Überzeugungsarbeit oder durch das Schwert bekehren sollen; dieser Vorwurf veranlasste viele großen Theologen dazu, nach einem Ausweg aus diesem Dilemma der Religionen in unserer heutigen Welt zu suchen. In diesem Zusammenhang wurden mehrere Ansätze zur Diskussion vorgeschlagen, etwa dass es notwendig ist, zwar die absolute Wahrheit für sich zu beanspruchen, aber andere mit rein zu beziehen, und dass man die Gegensätze zwischen den Religionen einfach ignorieren soll, weil es schwierig ist, zwischen der Wahrheit und der Falschheit zu unterscheiden und weil die Religionen dem Gesetz der Entwicklung und der geschichtlichen Änderungen unterworfen sind, als wäre die Wahrheit aus der Sich dieser Gruppe relativ und nicht absolut.

Meine eigene Meinung, die ich aus der islamischen Anschauung zu diesem Thema herleite, besagt, dass der religiöse Glaube eine Überzeugung ist, die das Niveau der wissenschaftlich fundierten Tatsachen erreichen und auf keinen Fall Gegensätze dulden soll, das heißt also, dass er weder Zweifel noch Vermutung oder Einbildung akzeptieren darf. Das hat es zur Folge, dass die religiöse Überzeugung die absolute Wahrheit für sich beansprucht und dass diese Eigenschaft nicht für die gegensätzlichen religiösen Überzeugungen gilt.

Meiner Auffassung nach ist das die solide Grundlage jeder Religion, denn wenn man die Relativität und Anzweifelung der religiösen Überzeugungen akzeptiert oder annimmt, dass auch eine andere Religion die Wahrheit besitzt, obwohl beide Religionen in Bezug auf ihre Glaubensgrundlagen unvereinbar sind; wenn man den Anhängern der Religionen diese Tür aufmacht, dann würde man sie vor zweierlei Alternativen stellen: Entweder bezweifeln sie ihre eigene Religion und dann könnten sie nicht mehr als Gläubige an diese Religion bezeichnet werden, oder sie müssen akzeptieren, dass eine Idee falsch und gleichzeitig richtig ist, und das gehört zu den unvorstellbaren Unmöglichkeiten. Deswegen ist es unerlässlich, dass die Anhänger jeder Religion fest daran glauben, dass sie an die absolute und einzige Wahrheit glauben. Das führt dann zu dem Eingeständnis, dass der Glaube an die Relativität der religiösen Überzeugung in jeder Religion den Untergrund dieser Religion und deren Bestimmungen bedeutet.

Der in diesem Fall vermutete Streit unter den Gläubigen um die einzige Wahrheit ist aus zweierlei Tatsachen ausgeschlossen:

Erstens: Die göttlichen Offenbarungstexte verbieten es kategorisch, einem anderen Menschen eine Religion aufzuzwingen, die er nicht will. Sie halten diesen Zwang für ein Verbrechen, das dem der Tötung anderer Menschen gleich kommt oder noch schlimmer ist, weil es dem Gläubigen schwerer fällt, wenn man ihm seine religiöse Überzeugung wegnimmt, als wenn man ihm das eigene Leben wegnimmt. Wer an Allah glaubt, der opfert freiwillig sein eigenes Leben, um seine Religion und seine Glaubenslehre zu verteidigen. Der Quran ist voll mit Versen, die zeigen, dass der Zwang in Sachen Glaubenslehren sinnlos ist, weil die Glaubenslehren einfach eine Tätigkeit des Herzens sind und niemand bekanntlich eine Macht über die Herzen ausüben kann. Auch die Verse des Evangeliums zu diesem Punkt sind sonnenklar.

Zweitens: Wenn es sinnlos und absurd ist, einem anderen eine bestimmte Religion aufzuzwingen, dann hat man seine Glaubenslehre zu respektieren und ihm seine Religion lassen. Der Staat, in dem dieser Anhänger anderer Religion lebt, ist sogar von der Scharia her verpflichtet, ihm die Ausübung seiner religiösen Riten zu gewährleisten, ihm einen passenden Ort für seinen Gottesdienst bereitzustellen und ihm die frei Ausübung dieses äußerst wichtigen Rechts mit allen Mitteln zu garantieren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Glaube an eine Religion die feste Überzeugung voraussetzt, dass diese Religion die einzige Wahrheit darstellt. Die Pflicht des Gläubigen gegenüber den anderen Religionen, die seiner Ansicht nach nicht die einzige Wahrheit wie seine Religion darstellt, besteht darin, sie und deren Anhänger zu respektieren, genau wie er die eigene Religion respektiert. 
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem vollkommenen Respekt vor einer anderen Religion und der Anerkennung dieser Religion oder dem Glauben daran. Besonders an diesem Punkt sind viele Extremisten und Fanatiker gescheitert und davon sind die Aufrufe entstanden, den Anderen als ungläubig zu bezeichnen, einzuschüchtern und zu töten.

Ich entschuldige mich für diese Ausführlichkeit und vielen Dank für Ihre Geduld mit meinen Worten.

Wassalamu Alaikum Warahmatullahi Wabarakatuh

 

 

 

 

 

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