Wort des Großimam an der Konferenz „Freiheit, Muwāṭana, Vielfalt und Integration“

(Übersetzt vom Al-Azhar Zentrum für Übersetzung und Dolmetschen)

  • | Sunday, 5 March, 2017
Wort des Großimam an der Konferenz „Freiheit, Muwāṭana, Vielfalt und Integration“

Im Namen Allahs des Allerbarmers, des Allbarmherzigen!

Sehr verehrte Damen und Herren!

Im Namen der Al-Azhar und im Namen des Weisenrates der Muslime heiße ich Sie herzlich willkommen. Ägypten begrüßt Sie und äußert seine Freude über diese sehr wichtige Konferenz, die in außergewöhnlichen Umständen und einer schwierigen Zeit in der arabischen Region und auch der ganzen Welt stattfindet, nachdem die Kriege in unserer arabischen und islamischen Region ohne einen ersichtlichen Grund oder eine logische Rechtfertigung, die ein Mensch im 21. Jahrhundert akzeptiert, ausgebrochen sind.

Es ist erstaunlich, ja sogar traurig und schmerzhaft, die Religion in dieser elenden Szene zu schildern, als ob sie der Hauptgrund für diese Kriege wäre. Es wird den Menschen gezeigt, dass der Islam das Zerstörungsmittel ist, durch das die Wände von World Trade Center eingestürzt, das Bataclan-Theater und die U-Bahnstationen explodiert, unschuldige Menschen in der Stadt Nizza und anderen Städten im Westen und im Osten vernichtet wurden sowie andere katastrophale erschreckliche Bilder, die in einem zunehmenden Maß auftreten. Das erfolgt in einer Zeit, in der der Radikalismus zunimmt und das richtige Verstehen der Wirklichkeit der Himmelsreligionen sowie der Sinn der Botschaften der Propheten, die mit den verfälschten Interpretationen der Religions-Texte in Widerspruch stehen, abnehmen. Die Texte der Religion werden von einigen Kriminellen missbraucht, die sie zu einer Pistole machen, die von jedem, der den höchsten Preis unter den Kriegsmaklern,Waffenhändlern und den Theoretikern des neuen Kolonialismus anbietet, angeheuert wird.

Bei der Betrachtung der merkwürdigen Angelegenheit dieser kleinen Gruppe genügt es, dass sie eine einzige Fahne, nämlich die des Islam, hebt und dann sie gegenseitig des Verrats und des Unglaubens bezichtigt. In diesem Fall erkennt man, dass das mit der Religion überhaupt nicht zu tun hat. Es geht auch darum, den Islam in dieses Blutvergießen unter widersprüchlichen Vorwänden einzubinden.

Eine andere Frage hilft uns, die Verfälschung solcher blutigen Aufforderungen zu identifizieren, dass nämlich die Extremisten nicht daran interessiert sind, die Religion im Rahmen des theoretischen Bemühens und der geistigen Erneuerung, wie sie behaupten, zu korrigieren, sondern es ist eine Frage der Tötung, des Blutvergießens und der Zerstörung der Errungenschaften des Menschen, wo auch immer sie sind und sobald sie eine Gelegenheit dafür haben.

Diese kleine Gruppe hatte vor kurzem eine begrenzte Auswirkung und Gefahr. Sie war aus Mangel an Ausrüstung unfähig, das Bild der Muslime zu verfälschen. Doch heute sind sie nahe daran, die ganze Welt gegen diese gerechte Religion zu mobilisieren. Als Beispiel dafür ist das sogenannte Phänomen der Islamophobie in den nördlichen und südlichen Ländern zu sehen, wobei die äußerst negativen Auswirkungen dieses Phänomens sich auf die Muslime in diesen Ländern widerspiegelten.

Wir beschäftigen uns heute weder mit der Untersuchung des Phänomens der Islamophobie noch mit dem Terrorismus, der dieses Phänomen füttert und jeden Tag den Hass gegen den Islam und die Muslime fördert. Es ist nicht unsere Frage jetzt, ob Terrorismus eine lokale oder vielmehr eine internationale Strategie ist, die böswillig von vielen Verteidigern der Menschrechte und Pflegern des weltweiten Friedens, des gemeinsamen Zusammenlebens, der Freiheit und der Gleichberechtigung sowie anderen Forderungen, die in den internationalen Bündnissen, die wir auswendig lernen, gesorgt wird.

Die Untersuchung all dieser Themen hat m. E. Anspruch darauf, Seminare zu organisieren. Geistliche, Denker und Intellektuelle der Welt müssen sich damit beschäftigen, um diese moderne Epidemie zu beseitigen und den Verantwortlichen für dieses Blutvergießen zu bestimmen.

Die Person, die das Phänomen der Islamophobie gerecht betrachtet, spürt die unlogische Unterscheidung oder diese Doppelstandard-Politik beim internationalen Beurteilen des Islam einerseits und dem des Christentums und des Judentums andererseits, obwohl alle drei Religionen sich an einem einzigen Verdacht und einer einzigen Frage, nämlich der Frage der Gewalt und des religiösen Terrorismus, beteiligen. Der Westen kümmerte sich nie um die Wellen des christlichen und jüdischen Fanatismus, ohne dass das Bild dieser beiden Himmelsreligionen verstümmelt wurde. Doch wenn es um den Islam geht, wird der Islam für schuldig erklärt und dessen Bild verstümmelt.

Die schlimmsten Formen der christlichen und jüdischen Gewalt wurden ja vom Westen leicht geduldet, und zwar in einer vollständigen Trennung zwischen Religion und Terrorismus. Dazu gehören z. B. die Bombenangriffe von Michael Bray auf die Abtreibungskliniken, die Bombardierung des Bundesgebäudes in Oklahoma seitens Timothy McVeigh und die Explosion von David Koresh, ganz zu schweigen vom religiösen Konflikt im Nordirland und der Tatsache, dass viele religiöse Institutionen an der Vergewaltigung und der Tötung von mehr als zweihundertfünfzigtausend Muslime in Bosnien beteiligt waren.

Verehrte Anwesenden!

Allah weiß, dass ich es nicht mit einer so langen Einleitung meinte, unsere Erinnerungen an die schmerzhaften Szenen solcher Terrorakte zu rufen oder einen Konflikt zwischen einem Menschen und seinem Mitmenschen zu verschärfen. Das stellt weder die Botschaft der Religionen noch die Botschaft der Al-Azhar noch die Botschaft des toleranten Osten noch die des zivilisierten Westens dar. Ich wollte jedoch sagen: Wenn die religiösen Institutionen im Osten und Westen nicht daran arbeiten, die Islamophobie zu begegnen, wird sie das Christentum und das Judentum, früher oder später, treffen. An diesem Tag wird das Sprichwort „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“ sich sicher erwiesen. Die Atheisten und diejenigen, die an den Tod Gottes glauben, die auf günstige Gelegenheit warten, der Religion zuzustoßen, und diejenigen, die die materialistische Philosophie propagieren, und Leute, die aus den Kellern des Nazismus und Kommunismus, und die Aufrufer zur Legalisierung von Drogen, zur Zerstörung der Familie und deren Ersetzen mit dem System des „sozialen Geschlechtes“, zur Tötung von Föten im Mutterleib, zum Fördern der Abtreibung, zum Recht auf die Transformationsoperationen, zum Ersetzen der nationalen Identitäten durch die Globalisierung und zur Beseitigung der Unterschiede zwischen den Völkern nach der Vernichtung deren Kulturen und dem Springen auf ihre kulturellen, religiösen und historischen Merkmale – Solche bösen Anrufe entwickeln sich jetzt und die EU-Behörden werden aufgefordert, sie auszuführen - all diese Aufrufe und viele andere kommen stark und werden als erstes die Himmelsreligionen vernichten, weil diese in ihrem Augen die Quelle der Kriege sind. Das Christentum hat die Kreuzzüge gebracht, und der Islam breitet den Terrorismus und das Blutvergießen aus. Es gibt keine andere Lösung, als die Religion aus der Wurzel zu entfernen. Diese Leute schweigen vor Opfern der Bürgerkriege, die die Atheisten und die Übertreiber des Säkularismus zu Beginn und Mitte des letzten Jahrhunderts auslösten, wobei die Religion in keiner Weise dafür verantwortlich ist. Ein Schüler in der Grundschule kann die Opfer der modernen sozialen Orientierungen beweisen, um zu sichern, dass die Geschichte seit der Zeit der Unwissenheit bis zur Gegenwart nur das Zehntel der Millionen von Opfern, die getötet, gefoltert und verbannt wurde, aufgezählt hat, und zwar wegen falschen Prophezeiungen, von denen keine einzige Prophezeiung sich erwiesen hat. Es hat sich jedoch erwiesen, dass es unmöglich ist, diese Prophezeiung in die Praxis umzusetzen.

Meine Damen und Herren!

Ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, dass das Freisprechen der Religionen vom Terrorismus im Hinblick auf die enormen Herausforderungen nicht mehr ausreicht. Einen anderen Schritt sollen wir vorschnell machen, nämlich die Umsetzung der Prinzipien und Moral der Religionen in die Praxis. Dieser Schritt erfordert m. E. einige nötige Vorkehrungen, an deren Spitze die Beseitigung übriger Spannungen unter den religiösen Führern steht, wobei ihre Existenz nicht länger gerechtfertigt ist. Wenn der Frieden also unter den Aufrufern zu ihm nicht verwirklicht werden könnte, würden sie nie in der Lage sein, diesen den Menschen zu geben. Ein solcher Schritt verwirklicht sich lediglich durch das Kennenlernen, das Zusammenarbeit und Integration erfordert. Es ist in erster Linie eine religiöse Forderung. Der Islam, auf den ich stolz bin, weist uns auf den folgenden Koran-Vers hin, den die Muslime und Christen auswendig lernen, weil er sich viel in den Foren wiederholt: „O ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Gewiss, der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch. Gewiss, Allah ist Allwissend und Allkundig.“ (Sure 49:13)

Der Islam unterstreicht auch ein sehr natürliches Menschenrecht, nämlich das Recht auf Freiheit und die Befreiung vom Druck, besonders bei der Freiheit der Religion, des Glaubens und der religiösen Orientierung. Im Koran heißt es: „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (Sure 2:256). Im Koran steht: „Und wenn dein Herr wollte, würden fürwahr alle auf der Erde zusammen gläubig werden. Willst du etwa die Menschen dazu zwingen, gläubig zu werden?“ (Sure 10:99). Im Koran steht auch: „Du übst nicht die Oberherrschaft über sie aus.“ (Sure 88:22). Im Koran steht ferner: „Dir obliegt nur die Übermittelung (der Botschaft)“ (Sure 42:48)

Zu den Anweisungen im Brief des Gesandten Allahs (Allah segne ihn und schenke ihm Wohlergehen) an die Bewohner von Jemen gehört: „Wenn ein Jude oder Christ den Islam hasst, wird nicht gezwungen, seine Religion aufzugeben.“ Es gibt noch andere religiöse Texte, die das Recht auf Freiheit und Emanzipation verankern.

Al-Azhar ruft zur Verbreitung des Konzeptes von Muwāṭana als Ersatz für den Begriff „Minderheit oder Minderheiten“ auf. Er ruft mithin zu einem Verfassungsprinzip, das der Prophet Muḥammad (Allah segne ihn und schenke ihm Wohlergehen) in der ersten muslimischen Gemeinschaft in der Geschichte, also dem Staat von Medina, praktizierte. Er bestimmt die Gleichstellung von muslimischen Einwanderern und Helfern und den Juden mit all ihren Stämmen und Sekten, weil alle Bürger sind, die gleiche Rechte und Pflichten haben. Das islamische Erbe hat uns ein detailliertes Dokument in Form einer Verfassung, die die Geschichte vor dem Islam nicht kannte, überlassen.

Verehrte Damen und Herren!

Ich habe vielleicht zu viel Zeit genommen, um meine Rede zu halten. Mein Entschuldigungsgrund lautet nun, dass Ihre Aufmerksamkeit mich verführt hat, alle Sorgen und Schmerzen, die ich auf diesem Blatt Papier niedergeschrieben habe, vorzulesen. Abschließend möchte ich mich beim Herrn Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, Präsident der Arabischen Republik Ägypten, für seine Schirmherrschaft dieser Konferenz bedanken, und zwar aus Anerkennung Ihrer großen Rolle beim Aufruf zum Frieden, zur Freiheit, zum Muwāṭana und zur Koexistenz zwischen den Menschen. Ich danke auch allen Ehrengästen, Brüdern, Kollegen und Studenten sowie Arbeitern für die harte Arbeit, die sie bei der Vorbereitung auf diese Veranstaltung gemacht haben. Ich hoffe, es wird Ihre Erwartungen erfüllen und ich entschuldige mich bei unseren örtlichen und internationalen Gästen für jede unabsichtliche Nachlässigkeit bei Ihrem Dienst in vollkommener Weise.

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