Wort des Großscheichs der Al-Azhar im Deutschen Bundestag

  • | Wednesday, 16 March, 2016
Wort des Großscheichs der Al-Azhar im Deutschen Bundestag

Sehr verehrter Prof. Norbert Lammert, Präsident des Bundestages
Sehr verehrte Abgeordnete des Bundestages,
Sehr verehrte Damen und Herren,
as-Salamu alaykum (Frieden und Gnade Gottes seien über Sie)
Ich möchte mich bei Ihnen zu Beginn meines Wortes ganz herzlich bedanken, dass Sie mir die Gelegenheit gewährten, Sie und das deutsche geehrte Volk anzusprechen.
Ich möchte auch meine Freude ausdrücken, im historisch berühmten Bundestag zu sein. – Der Bundestag, der an Weltereignisse erinnert, die als einen Wendepunkt im Verlauf der europäischen aber auch Weltgeschichte gelten. – das Parlament, das zusammen mit dem deutschen Volk seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen überwinden, und einen angesehenen Staat als gutes Beispiel für die Entwicklung, Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit gründen konnte.
Zu diesem Anlass möchte ich Frau Kanzlerin Angela Merkel im Namen der Al-Azhar grüßen und ihre menschliche mutige Haltung gegenüber den Männern, Frauen und Kindern hochschätzen, die aus der Hölle des Krieges im Osten geflohen sind. Der unglaubliche Druck, der auf sie ausgeübt wurde, konnte sie von dieser tapferen historischen Haltung nicht ablenken.
Die Al-Azhar hat ein Statement herausgeben, in dem sie Frau Kanzlerin Merkel für ihre großzügige Position dem Islam und den Muslimen gegenüber dankte, als sie an den Demonstrationen in Berlin gegen die Islamophobie teilnahmen und die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff "der Islam gehöre zu Deutschland" in aller Tapferkeit anwandten.
Erlauben Sie mir, sehr verehrte Damen und Herrn, mich als einen muslimischen Mann vorzustellen, der den Islam studierte und ihn mit dem Sinn verstand, den Gott wollte, und den sein Gesandter Muhammad, Friede sei mit ihm, vermittelte. Ich gehöre weder einer politischen Bewegung noch einem politischen Partei an, und vertrete keine Ideologie der Rechten oder der Linken oder irgendeine andere Ideologie der heutigen Zeit. Danach strebe ich auch nicht. Aber ich bin Muslim, der die ganze Menschheit liebt, kümmere mich um die Fragen des Friedens mit allen seinen religiösen, sozialen und globalen Dimensionen. Ich bin auf der Suche nach dem Frieden und hoffe, dass alle Menschen unterschiedlicher Heimaten, Rassen, Nationalitäten, Überzeugungen, Religionen und Konfessionen ein friedliches Leben führen.
Sehr verehrte Damen und Herrn,
ich bin zu Ihnen gekommen, nicht um den Islam zu predigen oder seine Tugenden und Lehren zu missionieren, sondern um Ihre Gerechtigkeit dieser Religion gegenüber anzusprechen. Diese Religion verdient Ihre Verteidigung gegen jegliches Unrecht und Vorurteilungen, die mit seinem wahren Bild nicht zu haben. Schuld daran sind einige Gruppen, die sich als Muslime nennen, und die den Islam falsch verstanden haben und ihn den Leuten in Form so einer blutigen Religion vorstellen, die die Menschheit feindselig behandelt und die Kulturen vernichtet.
Die Religion des Islam steht, wie Sie wissen, mit den anderen göttlichen Religionen in einer so engen Verbindung, dass wie – die Muslime – an die Tora, das Evangelium und den Koran als Rechtleitung und Licht an den Menschen glauben müssen. Die Spätere Botschaft bestätigt die Frühere. Unser Glaube an den Koran und Muhammad kann nicht vollständig sein, es sei denn, dass wir an diese heiligen Bücher, an Mose und Jesus und alle früheren Propheten glauben. Wir lesen im Koran: "Gewiss, diejenigen, die glauben, und diejenigen, die dem Judentum angehören, und die Christen und die Säbier - wer immer an Allah und den Jüngsten Tag glaubt und rechtschaffen handelt, - die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn, und keine Furcht soll sie überkommen, noch werden sie traurig sein." (Sure 2:62)

Es ist nicht wahr, was über den Islam gesagt wird, nämlich dass er Religion des Krieges und des Schwertes sei. Das Wort «Schwert»  kommt im Koran an keiner Stelle vor. Die Muslime glauben daran fest, dass Gott Muhammad als Barmherzigkeit nicht nur für die Muslime, sondern für die ganze Menschheit, Tiere, unlebende Wesen und Pflanzen entsandt wurde. Im Koran steht: "Wir haben dich an die ganze Welten nur als Barmherzigkeit entsandt". Muhammad sagte über sich selbst: "O. Menschen, ich bin nur eine vom Gott verschenkte Barmherzigkeit." Wer die Lehren dieses Propheten nicht im Rahmen der Barmherzigkeit und des Weltfriedens versteht, dann hat er die Lehren noch nicht wahrnehmen können.
Der Islam erlaubt nicht, einen Nichtmuslim wegen seiner Ablehnung des Islam oder irgendeiner anderen Religionen zu töten. Gott erschuf sowohl diejenigen, die glauben, als auch diejenigen, die nicht glauben: Es heißt im Koran: "Er ist es, Der euch erschaffen hat. So gibt es unter euch Andersgläubige und gibt es unter euch Gläubige, und was ihr tut, sieht Allah wohl." (Sure 64:2)
Gott erschuf die Nichtmuslime, nicht um den Befehl dann zu geben, dass sie getötet und vernichtet werden. Das ist Unsinn, den die Weisheit der Menschen ablehnt, geschweige denn die göttliche Weisheit. Die Freiheit des Glaubens bzw. des Unglaubens ist im Koran mit einem expliziten Text garantiert, der  sowohl die Laien als auch die Wissenschaftler und die Weisen begreifen können. Gott, der Erhabene, sagt: "Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll nicht glauben." (Sure 18:29), und sagt auch: "Es gibt keinen Zwang in der Religion" (Sure 2:256). Es heißt außerdem in den Verfassung, die der Prophet, Friede sei mit ihm, in den Jemen schickte: "Wer von den Juden oder Christen den Islam ablehnt, den darf nicht dazu gezwungen werden, seine Religion zu wechseln." In der Geschichte findet man keinen einzigen Fall, bei dem die Einwohner zur Annahme des Islam gezwungen oder mit dem Schwert wegen ihres anderen Glaubens bedroht wurden. Vielmehr haben die Muslime die Religionen und Sitten dieser Länder anerkannt. Sie hatten auch kein Problem damit, mit ihnen zusammenzuleben und mit  ihnen die Ehe einzugehen.
Der Dschihâd im Sinne von Kampf beschränkt sich auf die Selbstverteidigung. Der im Islam so genannte große Dschihâd im Islam besteht aber darin, dass man sich gegen die eigenen Begierden, das Teuflische und die Motive des Bösen vorgeht.
Das Konzept des legitimen Dschihâd bezieht sich auf jede Anstrengung, die für die Verwirklichung der Interessen der Menschen unternommen wird. Vor allem handelt es sich z.B. um die Bekämpfung der Armut, Unwissenheit, Krankheit, und um den Dienst der Bedürftigen, der Armen und der Verzweifelten.
Der Islam erlaubt den Muslimen den bewaffneten Dschihâd ausschließlich im Falle von der Abwehr der Angriffe seitens der Feinde. Hier dürfen lediglich verteidigende Kriege geführt werden. Diese Art vom Dschihâd wird von allen Religionen, Sitten und Kulturen als gerechtfertigt betrachtet. Es ist falsch zu behaupten und es wäre ein fataler Fehler, dass der Dschihâd im Islam bedeutet, das Schwert zu tragen, um gegen die Nichtmuslime Kriege zu führen, sie zu verfolgen und sie zu bekriegen. Es ist sehr Bedauerlich, dass man diese falschen Konzepte und Interpretationen der koranischen und prophetischen Texte propagiert, und zwar mit der Absicht, das Bild des Islam und der Muslime zu verfälschen.
Die islamische Scharia basiert auf den Prinzipien der Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Bewahrung der Menschenwürde. Der Prophet des Islam hob das Prinzip der Gleichheit unter den Menschen zu der Zeit hervor, in der der menschliche Geist den Sinn dieses Prinzips noch nicht wahrnehmen konnte. Damals kannte man nichts anderes als eine Gesellschaft von Sklaven und Herren. Trotzdem rief Muhammad, Friede sei mit ihm: dass "die Leute so gleich sind, wie die Zähne eines Kammes". Es vergingen nach seinem Tode nicht mehr als 10 Jahre, bis der zweite Kalif Umar Ibn al-Khattâb kam, und einen der Statthalter der Muslime anschrie: "Wieso versklavst du die Menschen, wobei sie als Freie geboren sind?".
Ich glaube, dass Sie, meine Damen und Herren, hier in Europa Gesetze und Vorschriften haben, die den des Islam implizit oder explizit entsprechen. Es handelt sich vor allem um die Gesetze, die die Menschenwürde bewahren, die Menschenfreiheit garantieren, die Gerechtigkeit und die Gleichheit unabhängig von den religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten verwirklichen.
An dieser Stelle möchte ich meinen muslimischen Brüdern und Schwestern, die in Europa leben, und ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen europäischen Gefüges geworden sind, darum bitten,  diese hohen Werte der europäischen Gesellschaften zu behalten und zu respektieren, und dabei ein ähnliches Bild des Islam und seiner toleranten Lehren zu vertreten. – Ein Bild,  das den Anderen gegenüber respektvoll behandelt, und ihm Dankbarkeit erweist, und zwar unabhängig von seiner Religion-, Konfessionszugehörigkeit oder seines Geschlechtes. Die Muslime müssen sich immer an den Vers erinnern: "Allah verbietet euch nicht, gegenüber denjenigen, die nicht gegen euch der Religion wegen gekämpft und euch nicht aus euren Wohnstätten vertrieben haben, gütig zu sein und sie gerecht zu behandeln. Gewiss, Gott liebt die Gerechten" (Sure 60:8)
Wie sehr würde ich mir wünschen, dass jeder Muslim in Europa diesen Vers auf einem schönen Bild schreibt, und es in seinem Büro oder seinem Geschäft aufhängt, oder auf einem Handy projiziert, und sich dann in jeder Zeit daran erinnert, dass die Pietät, die als Inbegriff der Höfflichkeit und der Güte den Eltern gegenüber gilt, auch erforderlich für denjenigen ist, die mit den Muslimen Frieden stiften und gegen sie keine Kriege führen. Die Gerechtigkeit und die Treue sind die Grundlagen des Umgangs des Muslims mit seinem Bruder im Islam sowie seinem Bruder im Menschsein, sei er Muslim oder Nichtmuslim.
Bezüglich der Frau im Islam, so gilt sie in Hinblick auf die Rechte und Pflichten als gleichberechtigt gegenüber dem Mann. Muhammad, der Prophet des Islam, Friede sei mit ihm, sagte: "Die Frauen haben den gleichen Wert wie die Männer".  Glauben Sie bitte nicht, sehr verehrte Damen und Herren, dass die Lehren des Islam am Leid der Frau im Orient schuld seien. Das ist eine falsche Behauptung. Richtig ist, dass der Grund für dieses Leid darin besteht, dass die Vorzüge des Islam, die die Frau betreffen, verletzt worden sind. Man bevorzugt alte Gebräuchen und Gewohnheiten, die mit dem Islam nichts zu tun haben und gibt diesen Gebräuchen den Vorrang vor den Lehren des Islams in Bezug auf die Frau. Die muslimische Gesellschaft hat viel ihrer kreativen und produktiven Energie verloren, als wir, die Muslime, die Rolle der Frau vernachlässigten, und sie von den Lagen des Einflusses in den östlichen Gesellschaften ausschlossen.

Sehr verehrte Damen und Herren,
der Pluralismus, die Vielfalt der Menschen und deren Verschiedenheit bezüglich der Religion, Sprache, Farbe und Rasse sind etwas Natürliches, das im Koran festgestellt ist. Darauf hat der Koran das Gesetz der internationalen Beziehungen im Islam aufbaut, nämlich das Prinzip des "Kennenlernens". Das Prinzip des Kennenlernens bedeutet, dass die Vorteile und Gewinne unter den Menschen ausgetauscht werden sollen. Es verlangt auch, Dialoge und Diskussionen mit den Befürwortern und Gegnern zu führen. Das ist wirklich, was unsere gegenwärtige Welt heutzutage braucht, um aus der erstickenden Krise herauskommen zu können.
Deswegen fällt es dem Muslim schwer, sich vorzustellen, dass alle Nationen und Völker einer einzigen Religion oder einer einzigen Kultur angehören müssen. Denn es war der Wille Gottes, die Menschen unterschiedlich sogar in Bezug auf ihre Fingerabdrücke zu erschaffen. Im Koran steht: "Wenn es Gott gewollt hätte, hätte ER die Menschen als eine einzige Nation erschaffen. Aber trotzdem bleiben sie unterschiedlich."
Derjenige, der an den Koran glaubt, hat daran keinen Zweifel, dass weder eine Macht noch eine Kultur, egal wie stark sie ist, den Gotteswillen hinsichtlich der menschlichen Verschiedenheit ändern kann. Davon ausgehend sind solche Theorien, die alle Menschen unter einem religiösen oder kulturellen Dach vereinen wollen, für den Islam ein sinnloses Wunschdenken und eine Utopie.
Wir gehen deshalb davon aus, dass es notwendig und selbstverständlich war, dass der Islam den Christen und Juden gegenüber in einer bemerkenswerten Art und Weise offen sein sollte. Er soll auch mit den Christen und Juden Brücken der gemeinsamen Koexistenz und des gemeinsamen Friedens schlagen. Der Islam befürwortet die Anerkennung der Eheschließung eines Muslims mit einer Christin oder Jüdin. Solche christlichen oder jüdischen Ehefrauen dürfen gleichzeitig ihre eigene Religion behalten. Und es ist nicht erlaubt, dass der muslimische Ehemann, seiner nicht-muslimischen Ehefrau verbietet zur Synagoge bzw. der Kirche zu gehen bzw. ihre religiösen Rituale im gemeinsamen Haushalt auszuüben.  
Mag sein, dass nun einige von Ihnen, sehr verehrte Abgeordnete, vielleicht protestieren oder sich irritiert fragen: Wenn der Islam und die Muslime dieses rosige leuchtende Bild haben, wie kamen diese religiösen militanten Bewegungen wie "IS" und ähnliche Terrorgruppen im Namen des Islams zustande, die Unschuldige töten, zerstören und Köpfe abhauen im Namen Gottes und des Islams. Wird diese unmenschliche schreckliche Szene alles verwerfen, was du uns über den Islam als Religion des Friedens, der Brüderschaft, der Menschlichkeit und der Barmherzigkeit zwischen Menschen gesagt hast?
Meine Antwort auf diese Frage lautet zusammenfassend: Wenn jede himmlische Religion wegen der Verbrechen und der Gräueltaten seiner Anhänger pauschal verurteilt werden würde, dann würden allen Religionen Terror und Gewalt vorgeworfen. Diejenigen Terroristen, die ihre Verbrechen im Namen dieser Religionen verüben, sind keine echten Vertreter, sondern in der Tat Verräter dieser Religionen, für die sie angeblich kämpfen.
Die Religionen sollten nur aus ihrer göttlichen Urquelle und aus der Praxis ihrer Propheten, die diese Religionen den Leuten vermittelt und sie zu diesen aufgerufen haben, verstanden werden. Das gilt sowohl für den Islam als auch für die Botschaften von Jesus und Mose und alle anderen göttlichen Botschaften.
 Sehr verehrte Damen und Herren,
Dieser Terror, unter dem wir alle leiden, wurde und wird von der ganzen islamischen Welt, von Regierungen wie Völkern, von der Al-Azhar wie den Kirchen September verurteilt. Dies verpflichtet uns Muslime wie Nichtmuslime, gemeinsam Schulter an Schulter an einer Front zu stehen, um den Fundamentalismus, den Extremismus und die Ungerechtigkeiten in all ihren Formen zu bekämpfen und dass wir alles was machbar ist an Formen der Kooperation, um gegen diese tödliche ansteckende Erkrankung vorzugehen.
Der Terror macht keinen Unterschied zwischen seinen Opfern, solange diese an seine radikale Ideologie und Gedanken nicht glauben. Wenn einige noch denken, dass der Islam die terroristischen Verbrechen rechtfertigt, dann müssen diese Einige sich daran erinnern, dass hauptsächlich Muslime vom Terror betroffen. Ihre Seele, Körper, Frauen, Kinder leiden immer mehr darunter in höherem Ausmaß als die anderen. Wie kann man also den Terror pauschal allen Muslimen zuschreiben. Die Muslime selbst distanzieren sich von diesen Verbrechen.
Vielleicht stimmen Sie mir dabei zu, dass der Osten und Westen verpflichtet sind, einen realen Dialog unter den Religionen und deren Anhängern zu öffnen, um den globalen Terror zu bekämpfen. Es gibt keinen anderen Ausweg, außer damit zu beginnen den Frieden zuerst zwischen den Geistlichen und TheologInnen aller Religionen zu schaffen. Ich gehöre zu denen, die an die Symbolkraft der Aussage von dem Theologen „Hans Kung“ glaubt als er verkündet: ,, Es kann keinen Frieden zwischen den unterschiedlichen Völkern geben, solange es keinen Frieden zwischen den Religionen gibt."  Das ist die gleiche Botschaft die Großscheich der al-Azhar "Mustafa Al-Marâghî" in London 1936 öffentlich kundgetan hat, als er zu einer internationalen Partnerschaft und einer gegenseitigen Verständigung zwischen der westlichen und der muslimischen Kultur aufgerufen hat.
Sehr verehrte Damen und Herrn,
erlauben Sie mir, das folgende zu sagen: Wenn ich mit etwas Bewunderung über Ihre Gesellschaften und Ihre Politik spreche, die auf der Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten basiert, fragen mich manche irritiert: Wenn das, was du sagtest, betreffend der europäischen Völker stimmen sollte, dann fragen wir, wieso wir in der westlichen Außenpolitik der islamischen Welt gegenüber nichts von dem sehen. Viele in der arabisch-islamischen Welt kennen die Politik der westlichen Länder nur als von Doppelmoral und Politik des eigenen Interesses geprägt, wobei das Interesse der Völker außer Acht gelassen werden. Sie führen die Ereignisse im Irak und Libyen und andere Länder als ein Beispiel an. Meine große Bitte an Sie ist, dass Sie mit aller Mühe daran arbeiten, diese negativen pessimistischen Bilder verändern. In diesem Zusammenhang können wir zusammen damit anfangen, den internationalen Frieden zu etablieren, das Feuer der Kriege zu löschen, das Blutvergießen und die Vertreibung aus den Heimatländern zu stoppen, vor allem in Bezug  auf den großen Prozess, den von Palästina, der eine gerechte Frieden und Stabilität stiftende Lösung noch nicht gefunden hat.
Somit reiche ich meine Hand zu Ihnen, damit wir zusammen arbeiten können, um dieses menschliche und verfeinere Ziel zu erreichen. Die Frage ist jetzt: Wer ist bereit, mit uns daran zu arbeiten?
Die Demokratie, deren Flagge wir in den arabisch-islamischen Ländern aufziehen wollen, kann nicht durch Kriege, Kulturkampf, kreatives Chaos, vergossenes Blut und Verbreitung der Waffen realisiert werden, sondern durch Förderung und Austausch auf der Ebene der Bildung, Industrie, Technologie sowie durch den Dialog, der sich auf der Gleichberechtigung der unterschiedlichen Kontrahenten basieren.  
Al-Azhar interessiert sich immer wieder für die Erneuerung seines religiösen Diskurses sowie seiner Lehrpläne, die in Al-Azhar-Institutionen unterrichtet werden. Auf diesem Gebiet gibt Al-Azhar heutzutage verdopple Mühe, die ich in diesem Zusammenhang in Details nicht behandeln kann. Ausreichend sind vielleicht Hinweise darauf, dass die azharitischen Gelehrten die extremistischen Ideen überall bekämpfen, die die Religion zuweilen verfälscht und ausgenützt haben, um Unruhe zu stiften, wegen der die Menschen und Staaten in Gefahr sind.  Hier sind einige Mittel der Al-Azhar zu erwähnen, wie z.B. die Friedensdelegationen, die auf der ganzen Welt geschickt werden, um zum Weltfrieden aufrufen, und die Jugendlichen vor der Polarisierung des Terrorismus zu schützen. Als weiteres Mittel möchte ich den elektronischen Al-Azhar-Observer erwähnen, der mit vielen Fremdsprachen arbeitet, und für den noch eine internationale Auswirkung erwartet.

Al-Azhar organisierte am 4. Dezember 2014 eine Konferenz. Da wurden muslimisch schiitischen und sunnitischen Gelehrten, Vertreter der Ostkirchen und einiger westlichen Kirchen sowie Vertreter der Yeziden aus dem Irak eingeladen. Al-Azhar kündigte in seiner Schlusserklärung ihre Verurteilung aller bewaffneten Gruppen und Milizen an, die den Gewalt und Terrorismus verwenden, und unschuldige Menschen terrorisieren. Es wurde auch erwähnt, dass Christen und Muslime im Osten lange Jahrhunderte als Brüder und Schwester zusammen lebten, und dass sie jetzt daran arbeiten, weiterhin in einem Nationalstaat mit der Gleichheit und der Freiheit zu leben. Das Vorgehen gegen die Christen oder andere religiöse Gemeinschaften im Namen der Religion ist eine Abweichung von den Lehren des Islam. Die gezwungene Vertreibung wird als Verbrechen erklärt und verurteilt. Al-Azhar rief die Christen dazu auf, sich in ihre Heimat mehr zu integrieren, um die Welle der Gewalt, worunter wir uns alle leiden, überwinden zu können.
Und heute möchte Al-Azhar alle begangenen Grausamkeiten verurteilen, die von den Befürwortern des Terrorismus verübet werden, und die die Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) in den letzten Tagen geschlagen haben. Hier wollen wir dem deutschen Volk unser Beileid für seine Opfer in diesem bedauerlichen Vorfall aussprechen.

Sehr verehrte Damen und Herren,
In Europa leben heutzutage etwa 20 Millionen Muslime. Viele davon sind in Europa geboren, was dazu führt, dass sie in erster Linie als Europäer betrachtet werden. Ich würde sagen:  All diese Muslime müssen die Gleichheit mit den Bürgern europäischer Abstammung genießen. Sie sollen alle Maßnahmen treffen, damit sie sich nicht marginalisiert fühlen und nicht am Rande der Gesellschaft leben. Sonst könnten sie ihre Loyalität ihrem Land gegenüber verlieren. - Diese Loyalität, die als wirksamen Schutzschirm gegen die Polarisierung seitens des Terrorismus und der Radikalisierung gilt.
Die Völker der östlichen arabischen und islamischen Gebiete betrachten Europa als den nächsten Partner, der auf der anderen Seite des Mittelmeers steht. Solche Völker erwarten von den Europäern Unterstützung und hoffen auf Beistand Europas, um Entwicklung und Fortschritt herbeizuführen. Das erfolgt nur durch die fruchtbare Zusammenarbeit und das Respektieren des Willen der Völker in Bezug auf ihr Selbstbestimmungsrecht.
Erneut möchte ich das wiederholen, was ich zuvor gesagt habe: Al-Azhar ist hierher gekommen, um Ihnen und somit der europäischen UNION ihre Hände für ernsthafte Zusammenarbeit zu reichen. Somit können wir die menschlichen Brüderlichkeit und den Weltfrieden zwischen Osten und Westen im Allgemeinen sowie zwischen Al-Azhar und den muslimischen Mitbürgern in Europa im Besonderen verstärken. Am Ende meines Worts vor dem historischen Bundestag bitte ich die muslimischen Mitbürger darum, ein lebendiges Beispiel für einen kultivierten muslimischen Menschen und für die Praxis ihres Propheten zu zeigen, der als Barmherzigkeit nicht nur für die Muslime, sondern für die ganze Welt gesandt wurde. Al-Azhar ist bereit, Ihnen die Lernprogramme, die sie vor der extremistischen Polarisierung beschützen können, zu Verfügung zu stellen und ihnen dabei zu helfen, das wahre Bild dieser Religion (Islam) zu präsentieren, um zu beweisen, dass diese Religion für alle Zeiten und Orten geeignet ist. Bitte erinnern Sie sich daran, dass Ihre Religion kulturelle Beleuchtungen in Europa hatte, die bis jetzt an den europäischen Universitäten noch einen guten Klang haben. Uns reicht in diesem Zusammenhang die Aussage des Meisters der deutschen Dichter Goethe und vor ihm des Dichters und Theaterkritikers Gotthold Ephraim Lessing über den Islam und die Kultur der Muslime.

Bevor ich meine Rede zum Schluss bringe, möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringe, dass sich die deutsche Regierung mit dem sachlichen Islamunterricht in den Schulen und Universitäten beschäftigt. Al-Azhar, die diese Entwicklung berücksichtigt, erklärt seine Bereitschaft, eine wissenschaftliche Unterstützung zur Gewährleistung eines richtiges verstehen der islamischen Religion anzubieten.
Ich habe lange gesprochen, aber vielleicht sind die Milliarden und 700 Millionen Muslime voller Hoffnung auf dem friedlichen Zusammenlaben und dem Kulturdialog zwischen Osten und Westen. Ich bin mir sicher, dass dieses große Parlament, diese Hoffnung verwirklichen kann. Dieses Parlament repräsentiert das deutsche Volk, das die Freiheit und Demokratie hochschätzt. Demzufolge füllte das unsere Herzen mit einem speziellen Gefühl und Vertrauen Deutschland gegenüber. Und für die Zukunft erwarten wir privilegierte Beziehungen, wenn es Gott will.
Assalamu ‘alaikum wa rahmatullahi wa barakatuh
Möge der Friede, die Barmherzigkeit Allāhs und sein Segen mit Euch sein
Prof. Dr. Ahmed At-Tayyeb
Al-Azhar Großscheich

 

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