"Fatwa – Problematiken der Wirklichkeit und Horizonte der Zukunft" Wort des Großscheichs Prof. Dr. Ahmed At-Tayeeb auf der internationalen Konferenz des Fatwa-Amts - Aug. 2015

  • | Wednesday, 19 August, 2015
"Fatwa – Problematiken der Wirklichkeit und Horizonte der Zukunft" Wort des Großscheichs Prof. Dr. Ahmed At-Tayeeb auf der internationalen Konferenz des Fatwa-Amts - Aug. 2015
Alles Lob gebührt Allah. Frieden und Segen seien auf unseren Propheten, seine Familie und Gefährten.
Am Anfang möchte ich Sie, sehr verehrte Gelehrten, Muftis und Wissenschaftler, in Ägypten, das von Allah geschützt und ihre zweite Heimat ist, willkommen heißen. Innerhalb der Al-Azhar-Moschee und des Fatwa-Amts würde ich Ihnen sagen: herzliches Willkommen und möge Allah Ihnen für Ihre Teilnehme an dieser wichtigen Konferenz ,,Problematiken des Fatwas in der heutigen Zeit und dessen Entwicklungen in der Zukunft" reichlich belohnen! Der Titel der Konferenz weist darauf hin, dass es von großer Bedeutung ist, die heutige Lage des Fatwas und die damit zusammenhängenden Probleme, die das Leben der Muslime erschweren, zu beobachten.
Vorher habe ich – sehr geehrte Herren – die Erfahrung gemacht, als Mufti Ägyptens am krisenhaften Anfang dieses Jahrhunderts für eineinhalb Jahr zu fungieren; ein Jahrhundert, das einen unruhigen Anfang erlebte, einmal stolpert es auf dem Weg, und einmal läuft es gut durch. Bis jetzt sind die Menschen von vielen Katastrophen dieses Jahrhunderts bedroht, deren schlimmen Vorzeichen wir schon erkannt, aber deren verborgenen Folgen noch nicht begriffen haben.
Ich hatte nach dem Fatwa-Posten nie gestrebt noch darüber nachgedacht. Trotzdem hat Allah das beschlossen, Mufti zu sein. Öfter ging ich vorsichtig mit diesen Aufgaben um, aber nicht aus Mangel an dem rechtlichen Wissen, das jeder Azhar-Theologe aus meiner Generation aufgrund des neun-jährigen Studiums an der Al-Azhar, in dem Fiqh fünfmal wöchentlich unterrichtet wird, beherrscht. Der Grund der Vorsichtigkeit lag aber in der Furcht davor, etwas Verbotenes für erlaubt oder etwas Erlaubtes für verboten zu erklären. Ich fürchtete mich auch davor, eine Lage zu erleichtern oder zu erschweren, was die Situation nicht erfordert. Als Ausweg von meiner Furcht erinnerte ich mich öfter an den Hadith des Prophetengefährten Abdulrahman Ibn Samra, indem der Prophet zu ihm sagte: ,,O Abdulrahman, strebe auf keinen Fall nach der Herrschaft. Wenn du die Herrschaft aufgrund deines Strebens übernimmst, trägst du dafür [ohne jegliche Hilfe] die Verantwortung. Wirst du aber damit ohne Strebung beauftragt, wirst du dabei [von Allah] unterstützt."
Ich dachte und denke noch an die Geheimnisse dieser Stelle, die auf das Leben des Menschen sehr gefährlich ist, denn die Stelle des Muftis wird von den Muslimen hochgeschätzt und respektiert. Vielmehr setzt das Wort vom Mufti ein Ende für alle Auseinandersetzungen und Streitigkeiten über die befragten Fällen. Die Leute nehmen das Fatwa eines anerkannten Muftis genauso an wie sie die wahren religiösen Lehren ohnehin annehmen. Deswegen sind das Fatwa und die Fatwa-Erteilung eine schwere Verantwortlichkeit, von der sich diejenigen, die vor Allah und Seiner Strafe fürchten, fernhalten möchten.
Als ich die Biografien der Muftis und Geschichte der islamisch-rechtlichen Begutachtung gelesen habe, habe ich wahrgenommen, dass die Muftis sich immer wieder zurückhielten und vor Begehen der Sünden fürchteten. Dadurch stellten sie sich über die Fatwas und Antworte, die sie für die Menschen erteilten, zufrieden. Zurückhaltung und Furcht vor Begehen der Sünden standen an der Schnittstelle zwischen Übertreibung und Nachlässigkeit. An dieser Schnittstelle verirren sich Fatwas, und schwanken zwischen Strenge im Namen der Frömmigkeit sowie Befolgen der älteren Gelehrten und deren Fatwas und Erleichterung mit Berufung auf Modernität und Anpassung an der heutigen Entwicklung. Die beiden extremen Stellungsnamen sind verwerflich, wie der klassische Dichter früher gesagt hat.
Diese Furcht führte meistens dazu, dass sich der Mufti nicht darum bemühte, über die rechtlichen Fragen sorgfältig nachzudenken. Vielmehr geht er mit der Frage ganz oberflächlich um, wobei er sich damit nicht beschäftigt, sich in die Frage zu vertiefen, nach der entsprechenden Rechtsnorm, deren Beweisen zu suchen, und an der Wirklichkeit anzupassen. Somit spiegeln einige Fatwas auf dem Gebiet der modernen Fragen das wider, was die klassischen Gelehrten an ähnlichen Fragen geäußert haben. Der Mufti beruht dabei ausschließlich auf den schwachen Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten, die nicht darauf hinweisen, dass die vorliegende Frage und die ältere Frage ähnlich sind, sodass man dabei das rationelle Prinzip umsetzen kann: ,,die Urteile der ähnlichen Fragen, egal ob möglich oder unmöglich, sind immer identisch."
Es wurde auch üblich, dass die Fatwas, die in Form einer Erleichterung oder einer Erschwernis gegeben werden kann, nur  aus Furcht seitens des Muftis das zweitere aufweist; der Mufti möchte nämlich alle Wege zu verbotetenen Handlungen möglichst sperren oder ganz einfach die früheren Muftis befolgen. Es ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die Erschwernis, die der Mufti als Lossagung vom Fehler gegenüber Allah betrachtet, dieselbe ist, die der Prophet verbietet und davon gewarnt hat, als er sagte: ,,Erleichtere und Erschwere nicht!" (Sahih Al-Bukhari: Hadith-Nr. 4867, Sahih Muslim: Hadith-Nr. 1734, Überliefert von Anas b. Malik) Der Prophet warnte denjenigen, der es der Umma schwer macht, mit Unheil. Er sagte „O Allah, wer die Führung dieser Umma übernimmt und es ihr schwer macht, erschwere es ihm!" (Sahih Muslim: Hadith-Nr. 1328, von Aischa auf dem Propheten zurückgeführt).
Es ist nicht richtig, dass die Erschwernis, vor dem der Hadith warnte, sich auf denjenigen beschränkt, der den Menschen ihr praktisches Leben und ihren Lebensunterhalt schwer macht, sondern umfasst auch denjenigen, der das Leben durch ein Fatwa schwer macht oder die Leute in Bedrängnis bringt, das die Scharia aufgehoben  hat.
Es besteht keinen Zweifel daran, dass alle mit dem Erteilen des Fatwas Beschäftigenden die unbestrittene von den Fiqh- und Usul-Gelehrten festgelegte Grundlage „das Urteil hängt von seiner Ursache ab“ auswendig kennen: Besteht die Ursache, dann besteht als Ergebnis das Urteil; fehlt die Ursache, dann ist das Urteil auch nicht vorhanden. Trotzdem schwanken viele Fatwas bis heute zwischen dem Erlauben und dem Verbot und somit bringen sie die Menschen in schwankenden Gefühlen zwischen Ruhe und Bedrängnis. Z.B.  Kunstgegenstände, die die Gestalt von Statuen annehmen, zu besitzen oder Geld von dem Fotografieren zu verdienen; Diese Kunstgegenstände wurden aufgrund eines Fatwas im Namen des Islam und seiner Scharia zerstört. Wir schauten früher im Fernsehen an und schauen heute wieder an, dass wertvolle historische Denkmäler und Antiquitäten zerstört wurden. Diese. Wir haben jedoch nicht gehört, dass eine Fiqh-Akademie eine Versammlung einberufen hat, zu der die Rechts- und Fatwa-Gelehrten eingeladen wurden, um das rechtliche Urteil  zu diesem Ereignis zu treffen. Das passiert trotz internationaler Änderungen und Gewohnheiten, die die Einrichtung der Fakultäten für Archäologie und die Künste sowie für Tourismus fördern, was die Muslime in Verlegenheit in Bezug auf diese Gestalte brachte, ob diese Figuren als Kunstgegenstände, deren Besitz erlaubt ist oder als Götzenbilder, mit denen der Muslim auf gar keinen Fall in Berührung kommen darf, betrachtet werden. Einige derjenigen, die Fatwas erlassen, halten das Besitzen dieser Kunstfiguren für völlig verboten, ohne sich des Vorhandenseins der Ursache des Urteils zu vergewissern, was als die erste unentbehrliche Phase vor dem Erteilen des Fatwas gilt, die solche Muftis als Anbetungsurteile  bzw. als Aufforderungen des Gesetzgebers, Allahs, erklären. Wir begreifen aber den Sinn  dieses Verbotes gar nicht, denn es sich um keine Urteile handelt, die von der Existenz einer Ursache ausgehen.
Der Verbotsgrund von Statuen-Herstellung war am Anfang des Islam höchstwahrscheinlich mit den Gewohnheiten und Gebräuchen der Araber damals verbunden. Zu dieser Zeit begnügten sich die Araber nicht nur mit der Herstellung der Statuen, sondern sie nahmen sie als Götter, denen sie außer Allah dienten. Deswegen war es nicht nur erwartet, sondern auch erforderlich, dass die Scharia als Ursprung des rechten Glaubens die Herstellung der Statuen verbietet, um alle zum Verbotenen führenden Mittel zu versperren, die Quellen der Götzendienerei zu versiegeln und das Neugeborene, nämlich "die Einheit Gottes" zu schützen.
Wenn das der Grund des Verbots gewesen war, warum verbietet man denn jetzt die Herstellung der Statuen, nachdem sich die Lage des Islam stabilisiert, die Einheit Gottes in die Herzen, Geister und Gefühle eingedrungen und die Götzendienerei bei den Muslimen allesamt völlig verschwunden ist?
Es sind jetzt ungefähr fünfzehn Jahrhunderte (nach dem islamischen Kalender) vorbei, in denen wir nicht gehört oder gelesen haben, dass ein einziger Muslim einem Standbild außer Allah diente, es Allah beigesellt, und dann behauptet, dass er noch Muslim ist. Jeder Muslim, der das Glaubensbekenntnis ausspricht, distanziert sich völlig davon. Vielmehr ist es unmöglich, dass der Muslim so was tut, denn die auf Koran und Sunna beruhenden Beweise bestätigen das. Der Prophet Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) beruhigte uns vor seinem Tod und schwor bei Allah darauf, indem er dies in einem Hadith, der von Bukharî und Muslim nach ´Uqba ibn ʿĀmer überliefert wurde, hervorhob. Uqba ibn ʿĀmer berichtete, dass der Prophet (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) eines Tages hinausging und das Totengebet für die Märtyrer von Uhud verrichtete, wie er das Gebet für den Toten im allgemeinen zu verrichten pflegte. Dann stieg er auf die Kanzel und sagte: "Ich werde vor euch am Becken stehen und euer Zeuge sein. Ich kann mir jetzt aber vorstellen, mein Becken in diesem Zustand zu sehen. Mir wurden die Schlüssel der Schätze der Erde (oder er sagte die Schlüssel der Erde) gegeben. Bei Allah, ich fürchte nicht, dass ihr Allah nach mir andere Götter beigesellt, sondern ich fürchte, dass ihr miteinander um die Schätze der Erde konkurrieren werdet.“
Ausgehend von diesem Hadith sind die Behauptungen einiger Übertreiber, die um die Muslimen vor Götzendienerei Angst haben, bloße Sophistereien, die inhaltlos sind, und Unsinn, der zur Verschwendung von Geld, Energie und Zeit führt. Darüber hinaus könnte das zu einer Auseinandersetzung zwischen den Muslimen führen, Aufruhr auslösen und auch den Streit und Zwiespalt verschärfen.
Sehr verehrte Gelehrten der Rechtsfindung und Muftis,
ich glaube, dass alle Muslimen das Recht darauf haben, dass Sie diese Rechtsfragen und die ähnlichen Fragen neu erforschen sollen. Wenn es einen entscheidenden eindeutigen Beweis gibt, dann hält man sich an ihn und dafür gibt es keinen Raum für die neue Erforschung. Der Muslim ist in diesem Fall verpflichtet, Allah und seinem Gesandten zu gehorchen. Wenn es keinen entscheidenden eindeutigen Beweis gibt, dann erfordert unsere Verantwortung vor Allah, dass wir in dieser Zeit den Wert der Erleichterung zugunsten der Muslime hervorheben, solange diese Erleichterung im Rahmen der Maqasid al-Scharia (der Ziele der Scharia) und der allgemeingültigen Grundlangen it.
Sehr geehrte, mit der Erteilung der Fetwas vertraute Gelehrte,
Sie brauchen nicht, dass ich Sie daran erinnere, dass die Sorglosigkeit dabei, Fetwas der Verketzerung zu erteilen, und dafür ausgefallene Belege aus unserer Tradition zu finden, führte uns dazu, was Sie heute sehen, dass Menschen einander ums Leben bringen, das geschützte Blut im Namen des Unglauben und Islam-Leugnen zu vergießen.
Eine andere Angelegenheit, die mir aufgefallen hat, ist das Gewohnheitsrecht und seine Gefahr für die Anpassung der Fetwas und deren Neigung für Extremismus. Die Gefahr liegt darin, dass die Regel "die Fetwa ändert sich nach Gewohnheitsrecht" vernachlässigt oder selten bei der Erteilung der Fetwas angewandt wird. Und falls diese Regel angewandt wird, wird dabei nur das Gewohnheitsrecht eines bestimmten Landes berücksichtigt, dass auf andere Länder anzuwenden ist, wo andere Gewohnheiten gelten. Das führt zum Chaos und Verwirrung unter den Massen, wenn z.B. die Gelehrten eines Landes versuchen, Fetwas gemäß dem Gewohnheitsrecht dieses ihres Landes zu erteilen. Es wird eben schlimmer, wenn es zwei streitende Parteien gibt, wobei die eine folgt dem Fetwa des eigenen Landes und die Andere folgt dem Fetwa des anderen fremden Landes. Es wäre jedoch gut, wenn es nur bei der Wahl des Fetwas zu Ende kommt.  Es geht aber darüber hinaus, dass Jede der beiden Parteien das Fetwa der anderen Partei für irrig hält, und vielleicht kommt es dazu, dass diese zwei Parteien einander der Verketzerung, des Extremismus oder der Affektiertheit bezichtigen. Der Grund für diese Tragik ist das Eralssen eines Fetwas, das aufgrund des Gewohnheitsrechtes eines Landes formuliert wurde, und dann es auf ein anderes Land zu übertragen, das mit diesem Gewohnheitsrecht nichts zu tun hat.

Der Scheich, Ahmad Fahmy Abu Sina, der auf dem Gebiet der Methodenlehre des islamische Rechts spezialisiert ist, konstatiert in seinem Buch "Al-`Urf wa al-`ada fi raay al-fuqha", in dem er seine eigene Theorie über die islamische Gesetzgebung erklärt, zum Schluss, dass das Gewohnheitsrecht eine der rechtlichen Grundlagen der islamischen Gesetzgebung bildet. Das beruht sich darauf, dass die Sitten und Gewohnheiten der Menschen sich je nach ihren Umständen ändern. Das ist die erste Prämisse, die niemand bestreiten kann. Eine zweite Prämisse führt er an, indem er die Einstellung des Gesetzgebers zu diesen Sitten und Gewohnheiten erklärt: "Hätte der Gesetzgeber dafür eine einzige detaillierte Rechtsnorm erteilt, dann hätten sie an Unrecht und Anstrengung leiden müssen. Das gehört nicht zum Zweck des Islam, das sich darauf beruht, die Interessen der Menschen zu berücksichtigen. Im Koran steht: "Und Wir haben dich nur als Barmherzigkeit für die Weltenbewohner gesandt." (21:107). Hätte er dafür aber mehrere Rechtsnormen erteilt, die der Vielfalt dieser immer wieder ändernden Interessen und Umständen entsprechen, so werden die Menschen mit vielen Pflichten auferlegt und sie können es nicht ertragen, diese Pflichten gewissenhaft und richtig zu erfüllen. Das gilt auch als eine Art Auflehnung gegen die Scharia, die auf einer festen Grundlage basiert, nämlich "Die Knappheit der Pflichten". Deshalb gehört zu der Weisheit Allahs, des Allweisenden und des Allwissenden, dass Er den Menschen allgemeine undetaillierte Rechtsnormen erteilt, auch wenn sich die Voraussetzungen und Umstände ändern. Die Gelehrten, die Rechtsnormen den unterschiedlichen Fällen anpassen, sind damit beauftragt, die Details dieser Rechtsnormen zu erklären. (...) Das ist eine der größten Seiten des Gewohnheitsrechts, auf der mehrere Rechtsnormen beruhen. Dies bestreitet kaum einer der Fiqh-Gelehrten. Es sind ein fester Beleg und schlagendes Argument für die Großartigkeit der Scharia und auch dafür, dass sie für jede Zeit und jeden Ort gültig ist." (Al-`Urf wa al-`ada, S. 44)
Eine weitere Angelegenheit erwähnt der große Gelehrte bezüglich der Frage, warum diese Gesetzgebung die Gebräuche in Rücksicht nimmt, nämlich dass der Gesetzgeber sich damit beschäftigt, die nützliche Gewohnheit in Acht zu nehmen, wenn er Rechtsnormen erteilt, damit die Menschen diese leicht annehmen und in ihrem Leben anwenden können, ohne sich dadurch bedrängt zu fühlen. Deshalb übernimmt das Gewohnheitsrecht eine Sonderstelle in der islamischen Gesetzgebung (Vgl. ebenda, S. 69).
Die Fragen bezüglich des Lebens der Muslime im 15. Jahrhundert der Hidjra beschränken sich nicht auf die Frage bezüglich des Besitzes der Kunstgegenstände, die die Gestalt einer Statue annehmen. Es gibt viele andere Fragen, die für das Leben des Menschen mehr oder weniger von Bedeutung sind, einige davon sind wesentliche Fragen, andere aber sind marginal. Ist es vernunftgemäß, dass die Gelehrten über die Frage, ob die Frau als Richter fungieren darf, verschiedener Meinung sind, während die Frau als Offizierin, Pilotin, Professorin und Ministerin tätig ist. Entsprechen die Rechtsnormen bezüglich der Frau unter diesen abänderlichen Gewohnheiten und Umständen noch den Rechtsnormen bezüglich der Frau, als das Gewohnheitsrecht vorschrieb, dass die vernünftige Frau diejenige ist, die sich in ihrem Hause aufhielt.
Sehr verehrte Gelehrten,
ich möchte keine lange Rede halten, aber die Verantwortung ist sehr groß. Der Grund für  viele menschlichen Leiden sowie auch familiären Probleme lag sowohl in der falschen Fatwas und Rechtsurteile entstanden, die manchmal einer Gesellschaft passt und einer anderen aber nicht als auch in der alten Gebräuche, die sich mehrmals wechselt und geändert wurden.
Diese Fatwas sind noch wortwörtlich weitergegeben worden, als ob die Gesetzgebung sich auf eine bestimmte Epoche oder geographisches Milieu beschränkt hätte. Was für einen Bezug haben diese Fatwas, die der Zeit und dem Ort fremd sind, zu dem, was wir vom Koran und der Sunna auswendig gelernt haben! Allah sagt: «Allah betastet niemanden über sein Vermögen» (Sure 1: 286), « Allah will euch nicht in Schwierigkeiten bringen» (Sure 5:6), Er sagt auch « Und (Allah) hat euch keine Härte auferlegt in der Religion.» (Sure 22:78) Im Hadith von Âischa, Ehefrau des Propheten,  steht: "Wenn immer der Prophet die Wahl zwischen zwei Dingen hätte, hätte er das Leichtere ausgewählt, es sei denn dies wäre eine sündhafte Handlung".  Welchen Bezug haben außerdem  diese Fatwas zu  den Prinzipien der Erleichterung, die die Rechtsgelehrten und Theologen  abgeleitet haben! Zum Beispiel:
1-    Gebräuche sind zu berücksichtigen,
2-    Notfälle erfordern Erleichterungen,
3-    Erschwert sich die Angelegenheit, sollte ein Ausweg gesucht werden,
4-     Was im Gebrauch weit bekannt ist, gilt als Voraussetzung für die religiöse Gesetzgebung, und
5-    das Fatwa ändert sich je nach der Zeit, dem Ort, den Umständen und den Personen.
Der Philosoph der malikitischen Schule, der ägyptische Imam Shihab Ed-Dîn al-Karâfî, hat goldene Worte in seinem Buch (Al-Ihkâm fî Tamyiz Fatâwâ ´an Al-Ahkam wa-tasarufât Al-Kadî wa-l-Imam) erwähnt: „Wird der Mufti von Jemandem gefragt , wobei er nicht weiß, woher der Fragende kommt, weiß, darf der Mufti ihm kein Fatwa erteilen, das er in seinem Kontext zu erteilen pflegte.  Er sollte ihn erst nach seiner Herkunft fragen und demgemäß antworten. Er sollte ihn auch nach den Bräuchen seines Landes fragen. Wenn sie anders sind als die Bräuche des Landes, woher der Mufti kommt oder in dem er tätig ist, sollte er diesen Unterschied bei der Begutachtung in Rücksicht nehmen. Es ist allen Gelehrten bekannt, dass wenn die Bräuche zweier Länder nicht identisch sind, sollten wiederum diesbezügliche rechtlichen Urteile unterschiedlich sein.“
Er hat auch in seinem Buch (Al-Frouk) den Mufti angewiesen, indem er sagte: « Jegliche Änderungen in den Bräuchen sollen berücksichtigt werden und alles, was an den Bräuchen nicht mehr vorhanden ist, soll  außer Acht gelassen werden. Und beharr dich nicht lebenslang darauf, was in den Büchern steht. Wenn Jemand  aber zu dir kommt, der nicht in deinem Land wohnt und sich nach einer rechtlichen Angelegenheit  erkündigt, antworte ihn nicht entsprechend den Bräuchen deines eignen Landes, sondern frage ihn nach den Bräuchen seines. Dementsprechend solltest du ihm das Fatwa erteilen. Das ist die klare Wahrheit. Aber die blinde Beharrung auf die Überlieferungen gilt als eine Irre in der Religion und spiegelt das Unwissen über die islamischen Ziele wider, die die islamischen modernen und klassischen Rechtsgelehrten festgelegt haben».  
Sehr geehrte Herren,
Es ist an der Zeit, dass wir solche wertvollen Schätze in unserem islamischen Erbgut aus ihrer Ruhestätte erwecken, den Staub von ihnen abschütteln, uns um sie kümmern, die Vernachlässigung, die den Menschen die Erleichterung und Barmherzigkeit der Scharia entzogen hat, beseitigen, diese Schätze suchen und auf sie bei jeder Frage und Antwort in dem Fatwa zurückgreifen. Diese islamischen Schätze sind alleine das Schutzmittel, das die Menschen dazu antreibt, sich an die Rechtsurteile zu halten. Sie sind auch der einzige Weg, der die Rechtsgelehrten und Muftis vor der Belastung seitens der Menschen schützen und davor bewahrt, den Menschen ein Fatwa zu geben, das ihnen schwer fällt. Außerdem sind sie die einzige Lösung, die vor der verwerflichen Erleichterung bewahrt, die dem Erlauben des Verbotenen nahe kommt und die Menschen dazu bewegt, aus der Religion (dem Islam) auszutreten.  
Sehr geehrte Herren,
ich entschuldige mich dafür, dass ich so lange gesprochen habe. Ich wünsche auch, dass diese Konferenz einen guten Anfang für eine neue Fatwa-Epoche darstellt, in der die Prioritäten geordnet und die Gebräuche und Ziele berücksichtigt werden, damit wir der Realität, deren Herausforderungen und deren Neuigkeiten mit Fatwas gegenüberstehen können, die für jene Gesellschaft unentbehrlich sind, die die Sicherheit und den Frieden im Schatten einer toleranten Scharia genieß. Eine Scharia, die für jeden Ort und jede Zeit taugt.

Vielen Dank für Ihr Zuhören!
Erstellt in Al-Azhar-Scheichtum
am 01.11.1436 (n.H.)/ 16.08.2015 (n.Chr.)
Ahmed At-Tayeeb
Der Großscheich von Al-Azhar


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