Meine erste Umrah, Erfahrung einer neuen Muslimin

  • | Thursday, 16 April, 2015
Meine erste Umrah, Erfahrung einer neuen Muslimin

Heute fliegen wir ja oft, wenn wir eine größere Strecke vor uns haben. Schwerlich nur ist es uns heute, uns vorzustellen, wie es war, mit Kamel und Schiff von Kairo aus nach Mekka und Medina zur Hadsch oder zur Umrah zu reisen. Hier steigen wir in das Flugzeug, entsprechend der rituellen Vorschrift gereinigt und gekleidet. Es ist schon interessant zu sehen, dass alle Männer, ob reich oder arm, gleich ärmlich aussehen in diesen weißen Handtuch- bzw. Tuchgewändern, gerade so mit Stoffstücken bedeckt. Da ist der Geist der Umrah darin zu spüren, die Einfachheit, die Gleichheit der Muslime. Auch die Frauen sehen relativ bescheiden aus, doch nicht so deutlich wie die Männer.

Mit dieser Kleidung der Umrah scheint die Einfachheit der ursprünglich islamischen Kultur auch schon vorüber zu sein. Wir sitzen im Flugzeug, essen und trinken normal und ohne Beschwernisse, dann die üblichen Pass- und Visumchecks wie in allen modernen Staaten. Weiter geht es bequem motorisiert – im Land des vielen Öls muss ja auch das Benzin billig sein, große Wagen werden hier gefahren, die woanders aufgrund des hohen Spritverbrauchs kaum noch zu sehen sind – bis nach Mekka. Das Hotel ist gut, es liegt gleich an der Moschee, wir beginnen nach der Ankunft gleich mit dem Ritual.

In die Haram-Moschee dürfen Frauen und Männer zusammen hineingehen, das ist schön, der erste Blick auf die Kaaba lässt einige Tränen vor Rührung laufen: Das ist wirklich die Kaaba. Wir vollziehen die Tawaf mit den Bittgebeten für alle geliebten Menschen und Projekte, die uns am Herzen liegen.  Dazwischen gilt es immer auf die anderen Pilger aufzupassen, niemand anzustoßen, von niemandem gestoßen zu werden. Manchmal ist es sehr voll und manchmal gibt es etwas Platz, auf der Höhe des schwarzen Steins grüßen alle mit der Hand: Allahu akbar. Der Tawaf ist wie ein Strom, ein Wasser, was nicht aufhört zu fließen. Aus allen Teilen der Welt strömen die Pilger nach Mekka und laufen um die Kaaba, ohne dass der Fluss je unterbrochen würde. Es hat etwas von einem natürlichen Strom in der Welt.
Ganz genau weiß ich nicht, warum diese Tawaf gemacht wird, alle Propheten sollen das gemacht haben. Das schwarze Tuch ist schön, abstrakt, verweist auf die Leere darin. Irritierend wirkt die Goldschrift darauf, wozu? Aber merkwürdiger scheinen die Pilger, die die Kaaba anfassen und sich dicht daran drücken. Glauben Sie wirklich, sie bekämen den Segen Gottes dort durch die physikalische Berührung? Das hat etwas magisches, das es ja eigentlich im Islam gar nicht gibt: a3usu billah.

Im Kontrast zum Tawaf weiß ich, warum ich 7 mal zwischen Safa ´ und Marwa hin- und hergehen soll. Safa` und Marwa hat eine Geschichte, die Geschichte einer  ausgesetzten Frau in Not,  mit ihrem kleinen Kind, der Gott sich barmherzig zeigt. Bis heute danken wir Gott für das Wasser und die Lebensnotwendigkeiten, mit denen wir uns und unsere Kinder versorgen können.  Das Ritual ist anschaulich, verständlich. Was ich an diesem Ort erwartet hatte, ich weiß es nicht, aber auf jeden Fall keine palastartige Marmorhalle! So bin ich sehr überrascht, sehr irritiert.
Wir laufen mit den anderen Pilgern, es ist schon ein bisschen anstrengend für Menschen, die das Laufen nicht so gewohnt sind. RollstuhlfahrerInnen und behinderte Menschen können in Mitte in einem besonderen Gang gehen. Die Männer eilen auf halber Strecke ein wenig … Jetzt Zamzamwasser trinken? Nein, zwischendurch möchte ich nicht trinken, obschon ich weiß, dass ich mich in den Durst Saida Hagars und schon gar nicht in ihre Angst,  Not und Sorge um das Kind hineinversetzen kann. Indes kann ich mich erinnern. Ein Versuch der Annäherung: In der Notsituation zieht sich die Zeit lang, vielleicht hat das Kind erst geschrien, dann vielleicht war es still, fast tot? Im Extremen hat sie das Gottvertrauen nicht verlassen, obwohl normalerweise keine Frau allein in der Wüste überlebte, entweder sie starb oder ihr wurde von fremden Männern Gewalt angetan. Das Gottvertrauen hat aber ihre Angst und Not besiegt.

Wir trinken das Zamzamwasser von einem der vielen Hähne aus weißen  Plastikbechern. Haufen und Berge von weißen Plastikbechern werden weggeworfen. Werden sie recycelt? Es steht hier kein Schild, dass die Pilger mit guten Gewissen, i.e. ohne die Folgen von Umweltverschmutzung durch Verbrennen von Plastik, Zamzamwasser trinken können. Bin ich die einzige mit dieser Wahrnehmung? Es scheint so … Wer sind die anderen Pilger? Menschen, überwiegend sehr einfach aussehende Menschen aus vielen Teilen der Welt, unterschiedliche Ethnien aus der arabischen Welt, manche sehen aus wie Stammeskrieger von der südarabischen Halbinsel. Es gibt auch viele aus Pakistan und Indien, viele aus Asien, hauptsächlich Indonesien und Malaysia, wenige Schwarzafrikaner, kaum westlich aussehende Menschen. Die ethnische und kulturelle Vielfalt des Aussehens und der Sprachlaute ist sehr beeindruckend.

Haare schneiden und nach kurzem Schlaf zum Fagr Gebet in die Moschee. Niemand verpasst hier ein Gebet, da das Gebet im Haram mit xmal ???  so viel zählt wie ein Gebet zu Hause. Ja, es ist schön, hier zu beten, aber wo ist denn die Moschee zu Ende? Die Leute beten an der Kaaba, in der Moschee, um die Moschee herum, und auf der Straße auch. Die Moschee des Hotels ist mit der Kaaba verbunden … wo ist das Ende? Am Ort der rituellen Reinigung für die Umrah? Jemand fragt einen Mufti, ob man die Umrah mehrmals machen kann, also er will mit dem Auto rausfahren und dann wieder reinkommen nach Mekka. Er bekommt gesagt, dass er dann viele Gebete verpasse, die Hassanat also wieder verlöre. Ist das eine Rechnung mit plus und minus, wo die Zahlen in die Rechenmaschine eingegeben werden? Mir ist ein solches Zahlendenken sehr fremd, mein Verstand und mein Herz sträuben sich dagegen. Unter der Gnade Gottes kann ich es nur symbolisch verstehen.

Gott ist gerecht und gnädig. Die eigentümlichen Spannungen, die insbesondere die Religionen prägen, sind im Islam offenbar und gerade in Mekka, an der Kaaba, direkt spürbar. Der Ort ist besonders, aber nicht heilig, haram heißt verboten: Verboten sind aber nur bestimmte alltägliche Verhaltensweisen, die mit Gewalt zu tun haben, wie Krieg und Jagen. Verboten ist der Ort auch für Nichtmuslime, er ist eben kein Touristenort, soll er nicht sein. Aber nicht heilig im Sinne eine Magie, besonders eben, im Sinne der konzentrierten Erinnerung vieler PilgerInnen. Und wiederum die Frage nach der Grenze? Ist der Ort noch besonders in einer eher schmutzigen Hintergasse von Mekka? Ja, diese gibt es auch, die andere Seite der Fassade.

Die soziale Dimension des Paradoxes des Ortes lässt auch die Frage verneinen, dass die Bewohner von Mekka selbst unendlich viele Hassanat bekommen …. Und dass die Reise an sich ja hauptsächlich von den finanziellen Möglichkeiten von Personen abhängt. Eine arme Frau oder ein armer Mann, die ihr zu Hause nie verlassen können, werden ja eigentlich von Gott entsprechend ihrer Taten, bi ma 3amalu, gerichtet, nicht entsprechend ihrer Reisen, nicht bi ma safru …. Das bewahrheitet sich ja eben angesichts heutiger zunehmender Leichtigkeit des Reisens, die ehemalige Beschwernis und Not des Reisenden, wie sich noch in Baqara 177 als der Sadaqa bedürftig vorkommt, nimmt ab.

Sicher ist es noch für viele Pilger beschwerlich, viele kommen mit Bussen und schlafen in Massenunterkünften, die Hygiene ist dabei oft schwierig. Aber die existentielle Not ist nicht mehr da, wir fahren heute in einigen Stunden von Mekka nach Medina. Der Prophet und die frühen Muslime waren früher Wochen unterwegs, eine gefährliche Zeit. Diese Erfahrung der früheren Einfachheit des Ortes in diesen Zeit- und Gefahrdimensionen und bleibt uns vorenthalten, aber es scheint wichtig, sich dies immer wieder deutlich zu machen bei der Sunna, der Nachfolge des Propheten: Nie werden wir das erreichen, nie, aber wir haben uns in diese Richtung zu bemühen.

Auch an dem besonderen Ort, rund um die Kaaba – rund um die Moschee des Propheten in Medina, auch ganz dicht am Grab unter der grünen Kuppel werden wir die Erfahrung der Früheren nicht erreichen. Leider ist uns der Zugang nicht nur verstellt durch die zeitliche Distanz von mehr als 1400 Jahren, in denen auf diesen Ort immer wieder neu darauf gebaut wurde, sondern auch durch die jetzige Eisentür, die jegliche aufkommende Ahnung dessen, dass hier das Zimmer Saida Aischas gewesen ist, im Keim erstickt. Durch das Gedränge bekommt auch dieser Ort eine Art heilig-magische Zuschreibung oder umgekehrt. Siebzigmal soviel wert ist ein Gebet?!  Die Gläubigen müssen in ihrer Hysterie von den saudischen Ordnerinnen gesagt bekommen, dass nicht der Prophet und sein Grab, also weder die Person noch der Ort, Objekt der Verehrung sind, sondern allein Gott, Allah. Auch in Uhud, wo Hamza und andere Freunde des Propheten gefallen waren, ist ein Schild angebracht, dass dieser Ort nur an den eigenen Tod erinnern soll.

Nicht nur den einfachen Gläubigen muss es deutlich gemacht werden, dass diese Orte Orte der Erinnerung sind. Der intensiven, ja, aber nur der Erinnerung. Es ist bei der Umrah nicht nur viel sogenannte Volksfrömmigkeit zu beobachten, sondern die Zuschreibung der heiligen Nähe zum Ort ist auch strukturell zu erkennen: Einmal rundum die Kaaba und die Moschee in Medina gibt es unzählige Läden, zum größten Teil Ramschläden, wo immer die gleiche Ware aus China verkauft wird: Von den Pilgern wird erwartet, dass sie von dort etwas für die Verwandten zu Hause mitbringen: Die Ware hat eine Zuschreibung des Besonderen, weil sie dort gekauft wurde. Aber auch die Preise der vielen Hotels, die sich um die beiden Moscheen gruppieren, sind nach Nähe und Blick auf die Stätten gestaffelt. Je näher, desto teuer. Kann das die Hassanat beeinflussen? Auch angesichts dessen, dass die (neureichen) Gäste der teuren Hotels sich beim Buffet Haufen auf ihre Teller laden und oft mehr als die Hälfte liegenlassen, was dann weggeworfen wird. Wo ist die Ethik des Ortes? Wo ist die Ethik der Umrah? Wo ist die Berücksichtigung des Wortes  bima3amlu?
In Mekka wird gebaut, alles soll erweitert werden, auch in Medina sollen die Hotelblocks um die Moschee wieder abgerissen und die Moschee noch einmal erweitert werden. Um noch mehr Pilger zu empfangen. Die Massen … es mutet merkwürdig an. Wo ist die Qualifizierung der Religiosität? Wollen wir Masse oder Klasse? (Gibt es einen Hadtih oder einen Koranvers?)  Z.T. sind die Leute so ungebildet – vielen auch, obwohl sie Geld haben, mangelt es an der islamischen Ethik, sogar spuckte direkt eine Frau, die im Hof der Prophetenmoschee vor mir saß, hinter sich auf den Boden …. Ich gab ihr ein Taschentuch zum Aufwischen und machte ihr, obwohl ich ihre Sprache nicht sprach, klar, dass das nicht sein darf.

Gott erschuf die Menschen, damit sie ihn verehren und auch sollen sie sich gegenseitig kennenlernen. Leider ist in Mekka und Medina nur das erste zu spüren, das Gebet, die Rituale werden individuell oder in den bestehenden Reisegruppen  vollzogen. Neue Gläubige kennenzulernen ist leider aufgrund der Sprachunterschiede sehr beschränkt. Wo kommst du her? Dabei bleibt es in der Regel. Die meisten scheinen gar nicht interessiert an den anderen. Schade. Ein solches Zusammenkommen verschiedener Kulturen und Lebensstile könnte in interessante und nützliche Kommunikationen überführt werden. Die Unterschiede der Religiositäten bzw. die verschiedenen religiösen Stile, die Lebenswelten der Menschen könnten miteinander ins Gespräch gebracht werden. Die arabische Sprache aktiv zu sprechen wäre die Grundlage, daneben u.U. englisch. Derartige kurze Sprachunterrichte, die zum weiteren Selbststudium motivieren würden sich hier anbieten. Vorstellbar wären auch Diskussionsforen zu Themen der Gesundheit, Hygiene, Umwelt, Kindererziehung, religiöse Ethik, die unter islamischer Perspektive zusammen besprochen und ausgetauscht werden könnten. Sicher müssten ÜbersetzerInnen engagiert werden.
Muslime sind in der Regel lernbereit, das ist eine der Grundlagen religiösen Lebens: Das Recht auf Bildung eines jeden Muslims und jeder Muslimin wurde hier in Mekka und Medina schon lange vor der modernen Entwicklung des Westens festgeschrieben und hatte die Blüte des Islams im Mittelalter hervorgebracht. Die heute allgemeine Schwäche der Muslime weltweit, die Kriege und das chaotische Durcheinander in den islamischen Ländern geht auf eine Schwäche der Bildung zurück. Gerade die Umrah könnte neue Impulse geben zu lernen, denn das Lernen könnte wegen der Besonderheit des Ortes tief und nachhaltig sein.  Die PilgerInnen nähmen neue Ideen von dort mit nach Hause, die sie den Verwandten schenkten, neben oder besser anstelle der billigen Ramschware. Organisatoren sind hier gefragt, die Umrah in Richtung Bildung weiter zu qualifizieren. Bi Isnillah.

 

Kairo, den 25. Februar 2015

 

Dr. Christiane Paulus

Sektion für Islamische Studien in Deutsch

Al-Azhar Universität

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