Nichtmuslime in der islamischen Geschichte (2) zur Zeit der Rechtgeleiteten Kalifen

  • | Sunday, 10 December, 2017
Nichtmuslime in der islamischen Geschichte (2) zur Zeit der Rechtgeleiteten Kalifen

Die zur Zeit des Propheten islamische erfolgte Ausdehnung erlebte doch ihre Blütezeit unter den vier Rechtgeleiteten Kalifen (11-41 H./ 632-661):

11-13 H./632-634 abu Bakr

13-23 H./634-644 cUmar: Eroberer Palästinas, Ägyptens und Persiens

23-35 H./644-656 cUthman: Eroberer Aserbeidschans, Georgiens und des Hindusge- 

                              bietes. Er baute eine mächtige Flotte, die der byzantinischen                             

                           schwere Niederlagen beibrachten.

35-41 H/656-661 cAli ibn abi-Talib

Neben dem Koran und der Sunna des Propheten Muhammad (s) gilt das Verhalten der ersten Kalifen als Normen des späteren Gesetzes und Grundlage der in späteren Zeiten erarbeiteten rechtlichen Bestimmungen und juristischen Begründungen.

Im Allgemeinen schien damals der Widerstand der nichtmuslimischen Völker gegen die Eroberer in den eroberten Ländern – insbesondere in Syrien und Nordafrika – sehr schwach bis fast nicht vorhanden zu sein. Denn diese Völker waren einerseits wegen der wirtschaftlichen und dogmatischen Drücke seitens der damals regierenden Byzantiner erschöpft. Andererseits kamen es dabei zur Zusammenarbeit bzw. zum Beistand seitens der Völker in Ägypten und Syrien.

"Dies bestätigend, lässt sich andererseits bei den Dhmmis die generelle Neigung beobachten, im Falle eines Angriffs ihrer “Glaubensgenossen” auf muslimisches Territorium ihrer muslimischen Umgebung loyal zu bleiben."[1]

 

Die christlichen Völker schlossen sich den muslimischen Eroberern gegen die Byzantiner an, denn diese Völker hatten dem Eroberer gegenüber ein genealogisches Zusammengehörigkeitsgefühl, insofern als sie arabischer Stammung waren. Auch von den Juden, die sowohl unter byzantinischer als auch sassanidischer Herrschaft schwer zu leiden hatten, wurde der Wechsel von der christlichen zu der arabisch-islamischen Herrschaft wie eine Befreiung empfunden.

Darüber hinaus war das Eroberungsverfahren in dieser Zeitspanne von Moral, die weder die Völker der eroberten Gebiete noch der bewaffneten Kriegsfeind selbst vorher erlebten, durchgeprägt. Von den zahlreichen Beispielen ist die wertvollen Anweisungen der ersten Kalif abu Bakr an seinen Armeeführer Usama ibn Zaid zu erwähnen:

"لا تخونوا ولا تغلوا ولا تغدروا ولا تمثلوا ولا تقتلوا طفلا صغيرا ولا شيخا كبيرا ولا امرأة ولا تعقروا نخلا ولا تحرقوه   ولا تقطعوا شجرة   مثمرة ولا تذبحوا شاة ولا بقرة ولا بعيرا إلا لمأكلة وسوف تمرون بأقوام قد فرغوا أنفسهم في الصوامع فدعوهم وما فرغوا أنفسهم له"

"Sei nicht unehrlich! Täusche niemanden! Verstecke deine Kriegsbeute nicht! Verstümmele niemanden! Töte nicht Frauen, Alte und Kinder! Verbrenne keine Dattelpalmen! Schlage keine Obstbäume um! Schlachte eine Ziege, eine Kuh oder ein Kamel nur zum Verzehren! Du wirst Menschen antreffen, die der Welt entsagt und sich in ein Kloster zurückgezogen haben; lass sie in Frieden!"

 

Diese sittlichen Normen und Grundsätze herrschten nicht nur während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Feind, sondern bildeten dann eine Grundlage beim rechtlichen, politischen sowie auch gesellschaftlichen Umgehen mit den Einheimischen. Im Falle einer Unrechtzufügung seitens eines Muslims oder sogar eines muslimischen Emir  macht sich die Strafe unentbehrlich. Der Kalif cUmar ging hier mit gutem Beispiel voran: Ein Kopte aus Ägypten fuhr zu ihm und klagte gegen den Sohn des ägyptischen Statthalter cAmr ibn al-Aass. Der Sohn des Emirs hätte mit dem Kopten um die Wette geritten. Als aber der Kopte die Wette gewann, wurde er  von seinem Gegner hart geschlagen. Der Kalif cUmar ließ den cAmr und dessen Sohn nach Medina kommen und ihnen mit seiner bekannte Aussage entgegnete: "Wie kommt ihr dazu, die Menschen zu versklaven, wobei sie von ihren Müttern als freie Menschen geboren sind?" Dann befahl er den Kopten, beide, den Emir und dessen Sohn, zu schlagen. Der Kopte verweigerte ihm das und schlug nur den Sohn cAmrs.

In den unter Herrschaft der Rechtgeleiteten Kalifen durchgeführten militärischen Aktionen gelang es den Muslimen, die ganze arabische Halbinsel und Nordafrika unter ihre Herrschaft zu bringen. Im Verlauf dieser Aktionen kam es schon zum Verstoß mit den in den byzantinischen und persischen Einflussgebieten lebenden Völkern. Im Jahre 635 wurde Damaskus eingenommen. Im nachfolgenden Jahr kam es zu muslimischen Erfolgen gegen die byzantinischen Truppen am Yarmuk, einem Nebenfluss des Jordan, und die Sassaniden bei Qadisiya (Zentralirak) am Euphrat, südwestlich von Íira, und bald darauf zur Einnahme der sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon (15 H./637). Im byzantinischen Herrschaftsbereich wurden im Jahre 16 H./638 Jerusalem und 18 H./640 die Hafenstadt Caesarea erobert und bis zum Jahre 20 H./642 Ägypten unterworfen. Im Osten fiel im gleichen Zeitraum fast ganz Persien unter die Kontrolle der Muslime. In den vierziger und fünfziger Jahren folgten die Eroberungen von Südost- und Nordost-Iran (Chorasan). Im Westen kam es seit etwa 29 H./650 zur Eroberung von Nordafrika.

In dieser Zeitspanne wurde der islamische Staat von zwei komplizierten Problemen begegnet, nämlich,

  1. dem Wieder-Sich-Verwandeln der Muslime in einer Minderheit im Vergleich zu den unter ihrer Herrschaft neu unterworfenen Völkern und
  2. der Kluft zwischen der Schnelligkeit des Eroberungsvorganges und der Einrichtung politischer und wirtschaftlicher Systeme, die die eroberten Länder in stabilisierten und sicheren Gebieten verwandeln sollten, was die Kalifen zur Übernahme der vorgefundenen byzantinischen und sassanidischen Verwaltungseinrichtungen und Steuersysteme führte. Nach Kallfelz ermöglicht dies dem arabischen Militärapparat eine Fortsetzung seiner Eroberungen.

In diesem Zusammenhang meint Wörtz:

Die Verbreitung des Islams kennt sowohl die friedliche als auch die kriegerische, im Dschihad geregelte, Ausbreitungsmöglichkeit. Die Eroberung neuer Territorien in der ersten Ausbreitungswelle erforderte die Normierung des Verhaltens des islamischen Staates gegenüber dem Ausland sowie die rechtliche Regelung der durch die Ausbreitung erfolgenden Probleme. Diese Normierung stellte eine religiöse Pflicht dar, erhebt doch der Islam den Anspruch, nicht nur eine Religion, sondern auch ein Moralkodex und ein Rechtssystem zu sein.    

 

Aufgrund der fast überall vorhandenen Bereitschaft der angeschlossenen Bevölkerung zur widerstandlosen Unterwerfung begannen die Eroberer in der Regel, Verträge zwischen ihnen und der jeweiligen einheimischen Bevölkerung zu treffen, womit das Verhältnis zwischen beiden Gruppen auf eine rechtliche Grundlage geregelt wurde. Nach diesen Verträgen der Eroberungszeit wurden sowohl den Muslimen als auch den sich Unterwerfenden bestimmte Rechte garantiert. Die muslimischen Eroberer verpflichteten sich in diesen Verträgen, Schaden von den sich Unterwerfenden fernzuhalten und ihnen Leben und Eigentum sowie an erster Stelle freie Religionsausübung zu garantieren. Als Gegenleistung waren die sich Unterwerfenden hauptsächlich zur Einrichtung von der Dschizya verpflichtet. Der Vertrag des Dritten Kalif mit den Bewohnern von Jerusalem ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben:

"هذا ما اعطى أمير المؤمنين عمر بن الخطاب أهل إيلياء من الأمان، أعطاهم أماناً لأنفسهم وأموالهم وكنائسهم وصلبانهم [...] أنه لا تسكن كنائسهم ولا تهدم [...] ولا يكرهون على دينهم ولا يضار احد منهم [...] وعلى ما في هذا الكتاب عهد الله ورسوله وذمة الخلفاء إذا أعطوا الذي عليهم من الجزية"

"Das ist die Sicherheit, die der Emir der Gläubigen Umar ibn al Khattab den Bewohnern von Jerusalem gewährleistet: Ihnen wird die Sicherheit ihres Lebens, Eigentums, ihrer Kirchen und Kreuze gewährleistet […] Niemand darf ihre Kirchen bewohnen oder niederreißen […] Ihnen darf keiner in der Religion Zwang ausüben oder Unrecht zufügen […] Für dieses Schreiben sind Gott und sein Gesandte Zeuge und tragen die Kalifen die Verantwortung, solange sie [die Einheimischen] die  Dschizya-Abgabe leisten"

 

Das Verhalten der vier Rechtsgeleiteten Kalifen hatte danach insofern eine große Bedeutung, als die späteren Kalifen und Gouverneure sich an ihnen orientieren, indem diese sich auf die von den vier Kalifen getroffenen Maßnahmen und festgelegten Bedingungen beriefen, um die eigene Haltung gegenüber den unterworfenen Völkern zu bestimmen und die verschiedenen Maßnahmen zu rechtfertigen.

Schließlich kann man für diesen Zeitraum auf allgemeine Merkmale und politische Ausübungen hinweisen, die den Umgang mit den Nichtmuslimen bzw. Einheimischen der eroberten Länder durchgeprägt haben, und die sich nachher als Rechtlinien sowohl für die nachfolgenden Oberhäupter als auch für die rechtlich Selbstbemühungen der Religionsgelehrten dienten.

 

  1. Keine Initiative zur kriegerischen Auseinandersetzung ergreifen

Die muslimischen Kalifen bzw. Heerführer führten keinen Krieg, bevor sie die Einwohner der betroffenen Stadt zum Islam oder zum sich Unterwerfen unter der islamischen Herrschaft aufriefen, insofern als die Muslimen hauptsächlich nur Kriege für Selbst- bzw. Glaubensverteidigung führten. Das war zurzeit der vier Rechtgeleiteten Kalifen ein von keinem Statthalter zu verletzten Prinzip. Als auch später der Armeeführer Qutaiba ibn Muslim gegen dieses Prinzip während seiner Auseinandersetzung mit den Bewohnern von Samarkand unter Herrschaft der Umayyaden verstieß, befahl der damaligen Kalif cUmar ibn cabdel cAziz den Fall vor Gericht zu stellen. Der Richter Gumai ibn Hadir hat die Entscheidung getroffen, dass der muslimische Armee wieder an die Grenze der Stadt anrücken und in Verhandlungen mit ihren Bewohnern stehen soll.

 

  1. Unterscheiden zwischen den Ssulh- und den Unwa-eroberten Städten

Es ist bemerkenswert, dass die geschlossenen Verträge mit den friedlich unterworfenen Nichtmuslimen sich von denen unterscheiden, die nach dem Krieg geschlossen wurden. Der Eroberungsverlauf hatte ihren Einfluss sowohl auf das Steuer- als auch Verwaltungssystem der eingenommenen Stadt. Während z. B. der sich zum Islam konvertierende Dhimmi in Ssulh-eroberten Städten zu keinem Kharadsch mehr verpflichtet wurde und wie die anderen Muslimen cUšr-Steuer bezahlen musste, blieb der Dhimmi der cUnwah eroberten Städten bei seinem Steuersystem auch im Falle der Konvertierung zum Islam. Auch das Verwaltungssystem beider Arten Städten war verschieden; darüber betont Habib dass,

"المسئول عن إدارة هذه البلاد [التي فتحت عنوة] هو الدولة الإسلامية فهي التي تعين العمال الذين يقومون على شئون الإقليم ولم يترك أمر إدارتها لأهلها كما في الأراضي التي فتحت صلحاً"

"der islamische Staat die Verantwortung für die Verwaltung dieser [cUnwah- eroberten] Städte aufnahm, indem er den ganzen Beamtenapparat für die Besorgung der Angelegenheiten der Stadt bestimmt. Die Einheimischen wurden, im Gegensatz  zu den Ssulh-eroberten Städten, mit den Verwaltungsaufgaben nicht befasst."

 

 

  1. Unterscheiden zwischen den eroberten Ländern und den amssar

Insbesondere im Hinblick auf ihre religiösen Angelegenheiten wurden die Nichtmuslimen in den eroberten Ländern rechtlich verschieden behandelt als die in den amssar. In den von den Muslimen eroberten Städten hatten die Dhimmis bezüglich des Baus und der Restaurierung der Kultstätte sowie der Ausübung der religiösen Zeremonien wesentlich Freiheit oder gelten diejenigen Vorschriften, die im mit den Einheimischen geschlossenen Vertrag zum Ausdruck kommen. In den Städten, die die Muslimen errichteten, wie Bagdad, Kufa, dürften die darin lebenden Nichtmuslimen grundsätzlich keine Kultstätten erbauen es sei denn sie hätten dafür eine Erlaubnis vom Kalif.

  1. Rücksichtnahme auf die Unterschiedlichkeit der Traditionen der Dhimmis

Die zur Zeit der vier Rechtgeleiteten Kalifen geschlossenen Abkommen mit den eroberten Städten nahmen Rücksicht auf die Vielfältigkeit der Gewohnheiten, Interessen und Traditionen der Einheimischen. Die Dschizya wurde z. B. nicht immer in Form von Geldern geleistet. Auch betreffs der Bodensteuer wurde die von Chosroes Anuschirwan I. (531-578 n. Chr.) geführten Reformationen in Irak übergenommen. Für mehr Rücksichtnahme wurden die Verträge mit den einzelnen Städten und nicht mit dem gesamten Land bzw. Gebiet geschlossen.

 

[1] Noth: a. a. O. S. 140

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