Al-Azhar bedauert zutiefst die Entscheidung der afghanischen Behörden, afghanischen Frauen den Zugang zur Hochschulbildung zu verwehren. Diese Entscheidung widerspricht der islamischen Schariʿah und steht zwar im Widerspruch zu ihrer ausdrücklichen Aufforderung an Männer und Frauen, von der Kindheit bis zum Tod, nach Wissen zu streben. Dieser Aufruf zum Streben nach Wissen hat in der wissenschaftlichen und politischen Geschichte des Islams bedeutende Geister und Genies unter den Frauen hervorgebracht. Diese Frauen waren und sind immer noch eine Quelle des Stolzes und der Bewunderung für jeden gläubigen Muslim, der aufrichtig an Allah und Seinen Gesandten glaubt.
Wie konnten diejenigen, die diese Entscheidung getroffen haben, übersehen, dass in den authentischsten sunnitischen Nachschlagewerken mehr als zweitausend Hadithe von der Frau des Propheten und der Mutter der Gläubigen, Frau ʿĀʾisha (Allahs Wohlgefallen auf ihr), überliefert sind? Wie könnten sie die zahlreichen Beispiele von Pionierinnen in Bildung, Wissenschaft und Politik übersehen, die zum Fortschritt der muslimischen Gesellschaften in Vergangenheit und Gegenwart beigetragen haben.
In diesem Zusammenhang genügt es, diejenigen, die diesen Beschluss erlassen haben, auf die Worte von Imam Ibn Haǧar, dem hervorragenden Kommentator des Sahih Al-Bukhari, in seinem Tahḏeeb At-Tahḏeeb aufmerksam zu machen. Falls sie es nicht wissen, hat Imam Ibn Hajar etwa hundertdreißig Frauen als Hadith-Überliefererinnen, Rechtsgelehrtinnen, Historikerinnen und Schriftstellerinnen unter den Gefährten des Propheten und ihren Nachfolgern (Tabi`un) genannt. Darunter sind Fatima Az-Zahra, ʿĀʾisha, Hafsa, ʿAmra, Umm Al-Darda, Aš-Šifaʾ Bint ʿAbdullah, Hafsa Bint Sirin, Fatima Bint Al-Munḏir und Karima Al-Marwaziyya (unter den Überlieferern für Imam Al-Bukhari). Etwa 450 dieser bedeutenden Frauen sind in Muʿǧam Aʿlām An-Nisāʾ von Zaynab al-Amili (gest. 1332 AH) zitiert. Sie zeichneten sich in den Wissenschaften der Scharia, der Sprache und der Literatur aus. Auch andere Frauen wurden in Umar Ridas Buch „Aʿlām An-Nisa" erwähnt.
Diese für das Gewissen von Muslimen und Nichtmuslimen erschütternde Entscheidung sollte von keinem Muslim erlassen werden, geschweige denn, dass er sich stolz daran festhält. Ich lehne diese Entscheidung ausdrücklich ab, da sie nicht die Šariʿah des Islam repräsentiert. Vielmehr widerspricht sie grundlegend den Lehren des Koran, in dem Wörter wie "Wissen" und "Vernunft" mit all ihren Ableitungen mehr als hundertmal vorkommen. Daher möchte ich meine Erklärung mit zwei Anmerkungen abschließen:
Erstens: Muslime und Nichtmuslime sollen nicht glauben, dass der Islam Frauenbildung verbietet. In der Tat verurteilt der Islam ein solches Verbot ganz entschieden. Vielmehr betrachtet der Islam Bildung als ein Recht sowohl für Männer als auch für Frauen. Etwas anderes zu behaupten, steht im Widerspruch zu den Lehren des Islams. Der Islam betrachtet das Streben nach Wissen als Pflicht für jeden Muslim, ob Mann oder Frau. Allah der Erhabene sagt: „Sind etwa diejenigen, die wissen, und diejenigen, die nicht wissen, gleich? Doch bedenken nur diejenigen, die Verstand besitzen.“ (Sure 39: 9)
Zweitens rufe ich die Machthaber in Afghanistan dazu auf, diese Entscheidung zu revidieren, denn die Wahrheit verdient es eher, dass man ihr folgt. Ich rufe auch alle dazu auf, sich stets daran zu erinnern, dass uns nichts vor Allahs Strafe am Tag der Auferstehung schützen wird, sei es Geld, Autorität oder hoher Rang, falls wir Ihm ungehorsam sind.